YouTube Twitter Facebook RSS-Feed

Kennst Du meine Videos auf ?

Meine Kanäle: Comedy & Cartoons / Reise-Abenteuer / Vlog-Schrott
29. Juni 2007 / 04:40

Zensiert ist zensiert

Wer bisher Google nutzte, konnte eigentlich nicht so viel falsch machen.

In der Regel wird dort das meiste, was der Durchschnittssurfer sucht, auch gefunden. Die Ergebnisse kommen zügig, sind ordentlich gelistet, und so manches Extra, wie Bilder- oder Newssuche, machen die tägliche Portion Informationen bei relativ geringem Aufwand verfügbar.

Viele Internet-Nutzer haben, wie ich, Google um 1998/99 als vernünftigen Ersatz für das damals schon in die Jahre gekommene Altavista entdeckt. Die besonderen Suchalgorithmen Googles – sich nämlich bei der Popularität der Adressen auf die Anzahl der Verlinkungen zu verlassen, zeigte deutliche Vorteile gegenüber den Suchergebnissen der Konkurrenz. Seither war bei dem kalifornischen Informationsspezialisten der Erfolg kaum noch zu bremsen.

Viele Jahre lief das so – bis etwas Besonderes passierte:
Microsoft, bekannt als Internet-Spätzünder, ersann vor einem Jahr den Suchdienst „Live Search“ in der vagen Hoffnung, an Google das Kunststück zu vollführen, das ihnen bereits in anderen Fällen gelungen war: Die Übernahme eines ganzen Marktsegments. Fast immer hat ihnen der Einstieg in einen Geschäftsbereich massive Kritik von Verbraucherschützern und kleineren Firmen einbrachte: Zu groß und aggessiv sei der Redmonder Konzern, und viel zu übermächtig für die vielen mittelständischen Anbieter von Browser-, Betriebssystem- oder Office-Software.
Im Fall von „Live Search“ blieb die Kritik jedoch verhältnismässig leise – inzwischen war aus dem pfiffigen und sympathischen Startup Google nämlich selbst ein Milliardenschweres Unternehmen geworden, dessen Expansionsverhalten nicht weniger aggressiv war und dessen geschäftliche Transparenz weit hinter einem als „fair“ empfundenen Verhalten zurückblieb. Irgendwie schien man zu denken, dass es gar nicht so schlecht sei, wenn Google, das mittlerweile eine Marktdurchdringung von atemberaubenden Ausmaßen hatte, ein bisschen Konkurrenz erwüchse. Selbst, wenn diese Konkurrenz der ebenfalls misstrauisch beäugte Microsoft-Konzern sei.
Wie zwispältig diese Relativierung jedoch ist, zeigt sich, wenn man verfolgt hat, mit welchen Einschränkungen die Alternative zu Google erkauft werden muss. Schon früh berichteten Blogs und Nachrichtenmagazine über das selektive und oft nicht nachvollziehbare Zensur-Verhalten der Microsoft-Suchmaschine. So lässt sich über live.com nicht nach Begriffen suchen, in denen „Penis“, „Vagina“, „Weiber“, „zensiert“, „erotische Fotos“ oder „über18“ vorkommt. Andere Begriffe, wie „Pädophile“ oder „Sex mit Kindern“ führen dagegen problemlos zu Kinderschutz-Informationsseiten, Bundesstaatsanwaltschaften und Spiegel-Artikeln.
Während „Live Search“ also munter Begriffe von allgemeinen Suchen ausschliesst, ist man diese Einschränkung von Google nicht gewohnt. Natürlich gibt es auch dort bestimmte Filterkriterien, die dazu führen, dass sehr populäre Seiten und Bilder erst weiter hinten oder gar nicht gelistet werden. In der Regel handelt es sich dabei aber um einen abschaltbaren Filter – die sogenannte „Safe Search“.

Screenshot Suchmaschine Live.com

Als ich alter Statistik-Fan neulich mal wieder bei Alexa meine „Lieblings“webseiten gegeneinander antreten liess, um vielleicht nicht unbedingt repräsentative Aussagen über ihre Nutzung, aber immerhin einen ungefähren Trend zu erfahren, stockte mir fast der Atem. Zunächst betrachtete ich nur den Graph von Google und stellte fest, dass dieser mit 27% Marktreichweite seit mehr als einem Jahr stagnierte und seit einigen Monaten sogar rückläufig war. Ähnlich war es bei Yahoo, das zwar schon seit mehr als 5 Jahren stabil auf ca. 30% kam, aber seit etwa einem Jahr kontinuierlich verlor. Mit dem Gegencheck von „Live Search“ klärte sich der Verbleib der restlichen Prozente, da die Reichweitenkurve erstaunlich gut zu den Kurven der anderen beiden passte – nur eben umgekehrt. Was mich jedoch viel mehr erschreckte, war der Wert: Eine Reichweite von 17% mit einer deutlich steigenden Tendenz.

Suchmaschinenvergleich
Quelle: https://www.alexa.com/data/details/traffic_details?site0=yahoo.com&site1=google.com&site2=live.com&site3=&site4=&y=r&z=1&h=300&w=610&range=3y&size=Medium&url=gigglesugar.com (nicht mehr verfügbar

Klar kann man jetzt einwerfen, dass die Alexa-Statistik nicht repräsentativ ist und Benutzer von Mozilla Firefox deutlich unterrepräsentiert bleiben (was an der mangelhaften Unterstützung des Firefox via Alexa-Plugin liegen könnte). Die aufgelisteten Benutzer waren also hauptsächlich Nutzer des Internet Explorers und haben daher eine höhere Wahrscheinlichkeit, die neue Suchmaschine von Microsoft zu verwenden, als die Firefox-Benutzer.
Trotzdem zeigt Alexa einen deutlichen Trend, der sich auch bei Berücksichtigung des Firefox-Defizits nicht wegdiskutieren lässt.

Es stellt sich natürlich die Frage, welche Auswirkungen eine so stark zensierende Suchmaschine auf unseren Alltag haben wird, und wie sich das wiederum auf die Gesellschaft und das Bild auf bestimmte Themen, wie zum Beispiel Zensur oder Sexualität auswirken wird.

Auch wissen wir kaum, nach welchen Kriterien Microsoft seine Suchmaschine anweist, bestimmte Themen verdeckt stärker zu gewichten als andere. Zum Beispiel könnte es Webseiten, die sich auf sogenannten „family values“ beziehen häufiger anzeigen, als Seiten mit bezug auf alternative Lebensformen – z.B. weil „Live Search“ sich als familien-freundliches Produkt versteht und sogar Tools zur Beseitung störender Internet-Einträge in Suchergebnissen liefert (Link: https://fss.live.com/ nicht verfügbar). „Live Search“ geht dabei nur grob darauf ein, wie diese familien-freundlichkeit zu verstehen ist: Nämlich darin, dass sexuellen Inhalte grundsätzlich als Angriff auf die Familie gewertet werden und kompromisslos erst mal gefiltert werden. Dass „Weiber“ oder „zensiert“ allerdings sexuelle Begriffe sind oder etwa jugendgefährdend wären, lässt ahnen, dass hier „values“ eher den Charakter von Variablen haben.

Ein anderes Problem ist, dass Benutzer von Microsoft-Software oder -Internetseiten es gewohnt sind, dass der Konzern besonders aggressiv mit eigenen Produkten wirbt. Wer Windows benutzt, findet z.B. nach der Installation in der Regel den Interner Explorer auf seinem Rechner vorinstalliert vor. Wer kann also sagen, dass wir von dieser Art des Produkt-Advertisement bei Live verschont bleiben? Andererseits: Wer kann die Markenneutralität bzgl der eigenen Produkte ruhigen Gewissens von Google behaupten?
Eine nähere Auseinandersetzung mit diesem Thema geht sicher über den Horizont eines Blog-Beitrags hinaus. Vielleicht rege ich mit diesem Text aber den ein oder anderen an, darüber nachzudenken und zu prüfen, welche Welt er im Internet tatsächlich vorfinden will: Eine möglichst ungefilterte, unbeeinflusste, in der er selbst es ist, der sich Meinungen anhand des tatsächlich verfügbaren Materials bildet, oder eine zensierte, nach unklaren Kriterien aufbereitete, die ihn nicht nur in seinen Möglichkeiten beschränkt, sondern womöglich auch auf irreführende Weise ein desexualisiertes, entpolitisiertes, unkritisches und unrealistisches Gesellschaftsbild unterschiebt, das er sich so niemals willentlich ausgesucht hätte.

Wenn wir so ein Internet nicht wollen, können wir es dann zulassen, weiterhin auf Konkurrenz im Suchmaschinenmarkt zu verzichten, um eine für das Gesellschaftsbild möglicherweise schädliche Veränderung der Suchinhalte zu verhindern?
Ein schwieriges Thema, das ja auch in der aktuellen flickr-Schlammschlacht-Diskussion nicht trocken unangetastet bleibt.

Bis vor einem Jahr konnte man mit Google sicher nicht viel falsch machen, weil einfach realistische Alternativen für eine allgemeine Suchfunktion fehlten.
Das gilt wohl vorerst weiter, auch wenn man in Zukunft dies wohl eher als Frage stellen müsste, nämlich wo man zur Zeit am wenigsten falsch machen kann.

 
 


Nachfolgebeitrag:
Vorgängerbeitrag:

powdered by wordpress and manniac.de (cc-by-nc-sa) 2006-2018