OZ (WA): July 22, 2008 / 23:29
AUSTRALIEN-REISE
Im Haus der 400-jährigen Hexe
Das Haus ist verdammt alt und Steve meint das nicht nur so, er kann es auch beweisen.
Seit 60 Jahren steht es in Belmont, einem Vorort von Perth. Vor zwei Jahren ist er hier eingezogen und jeder Tag, an dem es noch steht, ist ein guter Tag. Vor wenigen Tagen sah es jedoch nicht so aus, als würde das noch lange so bleiben.
Das war am Freitag, und da kannte ich weder Steve, noch das Haus. An diesem Abend war ich in einem Hostel in Northbridge einquartiert, das mich mit kostenlosem Internet und heißen Duschen in eine Falle gelockt hatte, und das erfuhr ich natürlich erst, als ich schon lange bezahlt hatte. Ich war hier wegen des Laptops, den ich nach sechs Wochen endlich wieder in den Händen hielt, und in der Zwischenzeit war eine Menge Arbeit angefallen.
Internet wäre grundsätzlich hilfreich gewesen, aber das war, wie ich schnell herausfand, heute kaputt. (An der Rezeption hatte man mir das deswegen nicht gesagt, weil ich nicht danach gefragt hatte.)
Aber für heute standen ohnehin Backups auf dem Programm – man weiss ja nie, was als nächstes passiert – und Charlie brauchte Musik für seine letzten Tage. Viele CDs musste gebrannt werden, und dafür brauchte ich Strom und einen bequemen Platz.
Internet war nebensächlich.
Das Gebäude, in dem das Hostel untergebracht war, bestand aus zwei in kleine Räume unterteilten Ziegelsteinhallen, die parallel zueinander erbaut und mit einer provisorischen Isolationsüberdachung verbunden waren. Im Raum dazwischen reflektierten Hitzestrahler von den Wänden und gaben ihre Energie durch die undichten Fenster direkt ins Freie ab. Einige Meter darunter reihten sich schwere Holztische, an welche die Hausleitung lange Bänke verschraubt hatte.
Doch leider muss irgendjemand den Abstand falsch berechnet haben: Sowohl das Aufstehen als auch das Setzen geriet zur akrobatischen Übung und führte nicht selten zu blauen Flecken.
Zur Unterhaltung der Gäste gab es eine kleine Fernsehecke, Gemeinschaftsspiele, Schach und vegilbte Kartensets. Auch für Strom war gesorgt, allerdings gab es nur eine einzige Dose, und die gehörte heute abend mir.
Zehn Minuten nachdem ich mit meiner Arbeit begonnen hatte, begann der Wind mit schweren Schlägen gegen die Fenster zu schlagen und dumpfes Grollen kündigten eine wilde Nacht an. Ich mag es, bei Gewitter zu arbeiten. Es hat etwas sehr entspannendes, wenn prasselnder Regen und knarzender Donnerschlag das Gefühl vermitteln, in einer warmen Blase zu sitzen und dass all die Widerlichkeiten des Lebens dort draußen sind, und man hier drinnen sicher ist. Man bedauert die Leute, die es nicht mehr rechtzeitig ins Trockene geschafft haben und nun mit dünnen Jäckchen zum Schutz über den Kopf gespannt durch metertiefe Pfützen und hamburgischen Regen waten. Dann fühlt man sich gleich ein ganzes Stück besser und sehnt sich nach der freistehenden Badewanne aus der Schauma-Werbung. Bei Unwetter könnte das Leben fast nicht besser sein, vorausgesetzt, die Elemente bleiben draußen.
Die ersten Tropfen, die sich einen Weg durch die desolat verbauten Isolationsstreifen an der Decke gebahnt hatten, ließen natürlich nicht lange auf sich warten. Innerhalb weniger Minuten hatte sich das milde Wintergewitter in ein reißendes Mayhem aus zuckenden Blitzen und Gießkannenartigen Wasserfällen verwandelt. Immer mehr Tröpfchen sammelten sich auf meinem schräggestellten Bildschirm, so dass ich, um einem zweiten Laptop-Garantiebruch wegen eindringender Flüßigkeiten zu entgehen, mein Lager wieder abbrechen musste und in mein trockenes Zimmerchen floh.
Da die einzige Steckdose dort vom Bett aus unzugänglich angebracht war, verliess ich mich für den Rest meiner Arbeit auf die Laptopbatterie, und die war nach 2 Stunden alle. Der Regen dagegen reichte die ganze Nacht.
Der nächste Morgen begann mit einer kalten Dusche und einer kleinen aufgescheuchten Japanerin, die mit ihrem Arbeitsplatz an der Rezeption und einer Gruppe verfrorener und lautstark protestierender Gäste genauso heillos überfordert war, wie mit der für sie offenbar fremden Sprache Englisch. Wie es aussah hatten die Sicherungen des Heizaggregats im Gewitter versagt und in dessen Folge kamen sämtliche Duschen nicht über 16 Grad hinaus. Was für ein Reinfall.
Glücklicherweise hatte ich ohnehin nur eine Nacht gebucht und so packte ich meine Sachen an und ging.
Um trotzdem noch in den Genuß einer warmen Dusche zu kommen, fuhr ich mit Charlie in ein nahes Schwimmbad, dessen Eintrittspreis in einem angemessenen Verhältnis zu meinem dringlichen Sauberkeitsbedürfnis stand.
Nach einer Runde im Pool traf ich auf Steve, einen Indo-Malayen, der schon sein ganzes Leben lang zwischen Perth und Kuala Lumpur pendelt und im nahegelegten Theater als Autor arbeitet. Sein neuestes Stück soll in 9 Wochen veröffentlicht werden, und ein weiteres war in Planung. Ein interessierter Produzenten wolle es unbedingt auf die Bühne bringen, aber dafür auch die hübsche zwanzigjährige Hauptrolle spielen. Laut Steve sei der Produzent jedoch zu alt, weshalb er noch mit viel Überzeugungsarbeit rechnet.
Zu alt findet sich im übrigen auch Steve, der nach eigener Auskunft vor ein paar Jahren 400 wurde – ins Detail will er dazu zwar nicht gehen, doch unter uns: Das Alter sieht ihm, der sich selbst als Hexe bezeichnet, nicht an.
Als er hört, dass ich alleine im Auto durch Australien unterwegs bin, bietet er an, für ein paar Tage bei ihm zu übernachten. Ich bekomme ein eigenes Zimmer, so viel Internet, wie ich essen kann, und das erste mal seit sehr langer Zeit ein richtiges Bett.
Das einzige, womit ich mich arrangieren muss, sind die Baugerüste, die einige Teile der Wohnung durchzogen und diese vor dem drohenden Zusammenbruch bewahren. Wie schon vor einigen Tagen im Hostel hatte auch hier das Gewitter Spuren hinterlassen. Im starken Regen war Wasser durch das alte Ziegeldach gedrungen und hatte die Decke durchgeweicht. Die Folgen waren in Form brüchiger Deckenteile und Wasserschäden an den Wänden kaum zu übersehen. Der Katastrophenschutz hatte zwar das Wohnzimmer mit stützenden Eisenträgern stabilisiert, doch wie lange das Provisorium noch hält, ist derzeit nicht abzusehen.
Häuser werden in Australien nicht für die Ewigkeit gebaut und wenn eines 60 Jahre überlebt, gilt das eben als alt. Doch Steve liebt sein Haus, das er mit einem Freund teilt, über alles, und was mich betrifft: Solange es noch steht, mag ich es auch. Mehr als ein paar Tage wollte ich ohnehin nicht bleiben.
Charlie habe ich auf einer Rasenfläche an der Straße geparkt – ein kleiner Teddy im Baum nebenan leistet ihm Gesellschaft und passt auf, dass sich ihm nichts passiert. Er wohnt schon seit vielen Jahren, und mit einem alteingesessenen Bären sollte man sich wirklich nicht anlegen.
Vor ein paar Tagen habe ich Charlie in den meisten Jugendherbergen der Stadt annonciert, und vielleicht findet sich auch bald ein Käufer. Doch bisher sieht es schlecht aus. Gemeldet hat sich auf meine Anzeige noch keiner, aber ich gebe der Sache noch ein paar Tage, bevor ich den Preis drücke. Und wenn dann immer noch keiner kommt, fahren wir vielleicht doch noch nach Darwin …
Aber noch ist keine Eile, denn Manniac versteht sich mit Steve mindestens so gut wie Charlie mit dem Bären.
Für alles ist gesorgt.