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Meine Kanäle: Comedy & Cartoons / Reise-Abenteuer / Vlog-Schrott
24. Mai 2008 / 09:13
OZ (SA): May 24, 2008 / 16:43

AUSTRALIEN-REISE

Why Whyalla?

Eine kleine Geschichte von meiner Begegnung mit der Stadt Whyalla

Dose am Straßenrand

Der Dose, die auf der Straße liegengeblieben ist, war kein schönes Leben beschehrt. Nach Jahrmillionen, als individueller Klotz Aluminium aus dem australischen Muttererz geschmolzen und dann unter Hochdruck von schweren Walzen einer Metallverarbeitungsfarbik geplättet, wurde sie maschinell verarbeitet zu einem Endprodukt des Konsums: Eine kleine Getränkedose unter vielen. Abgefüllt mit billiger Brause zog sie über hunderte von Kilometern durch das riesige Land, um schließlich in einer heruntergekommenen IGA Filiale am Stadtrand von Whyalla auf ihren Verkauf zu warten. In schriller Montur, und nur mit einer Nummer versehen (1.50AU$), stand sie tagaus tagein im grellen Neonlicht, erschöpft und resigniert vom knallharten Wettbewerb mit den vielen anderen Dosen, von denen eine bunter war als die nächste.
Es war an einem verregneten Herbst-Tag, als ein australischer Teenager den Laden betrat und sie mit glasigen Blick aus dem Regal zog. Nur Schritte außerhalb des Ladens öffnete er die Lasche an der Oberseite und weißer Schaum quoll aus dem scharf umrandeten Loch. Sie hörte noch das zischende Geräusch und sah die immer größer werdenden Lippen auf sich zurasen. Dann wurde alles schwarz.

Als sie wieder zu sich kam, lag sie an einem staubigen Straßenrand: Zerbeult, angerostet und leer.
Die Tage vergingen, und das einst so leuchtende Kleid der Dose, die letzte Erinnerung an ihr Leben im Supermarkt, verblasste zunehmend im harten Sonnenlicht. Auch die salzige Meeresluft fraß immer tiefere Wunden durch den sich rasend schnell ausbreitenden Rost.
Es war in dieser Stunde, als der Cowboy des Weges kam und ihr mit einem zornigen Tritt zu einer letzten Reise verhalf. Noch als sie durch die Luft flog und wie in Zeitlupe die rote Erde der südaustralischen Steppe unter ihrem blechernen Körper hinwegrotieren sah, dachte sie noch still bei sich: „Warum mir? Warum hier? Warum Whyalla!?“.
 

Die kleine Dose Charlie

Die kleine Dose hat ein paar Dinge gemeinsam mit meinem Auto Charlie, auch wenn der rostige Zahn der Zeit seine blecherne Hülle bisher nur wenig in Mitleidenschaft gezogen hat. Doch beide fanden sich eines Tages am Straßenrand wieder, und keiner von beiden wusste noch genau, wie er dahin gekommen waren. Und dennoch: Verdient hat den Tritt das Auto mehr als die kleine Dose, aber im Frust ist es dem Tritt egal, wen von beiden er trifft.

Lodernde Hitze brennt mir auf die Schultern und der Wind führt den Duft von Sonnenmilch an meiner Nase vorbei: Wenn ich die Augen schließe, bin ich bei Wellen und Strand. Wenn ich sie öffne, wieder im kargen Industrieplateau von Whyalla. Um mich herum das quietschende Türgeräusch, das Magpies manchmal machen, und rechts rauscht ein Schwertransporter mit gepresstem Grollen den Highway hinunter.
Schritt für Schritt arbeite ich mich voran – es sind noch fünf Kilometer.
Mein Shirt hängt klamm unter dem schweren Rucksack, der jeden Tropfen Schweiß speichert – auch das trägt nicht zur Laune bei. Tatsächlich bin ich so geladen, dass ich möglichst jedem verdammten Drecksding aus Metall einen kräftigen Tritt in die schillernde Oberfläche setzen möchte.
Natürlich hätte ich auf den Bus warten können. Aber im Augenblick fühle ich mich auf meinen eigenen Beinen noch am sichersten.
Außerdem habe ich für Erste genug Geld ausgegeben – ich muss nicht auch noch meinen letzten Cent in den verfluchten Lokalverkehr stecken. Doch dann, sagt die vernünftige Seite meines Gehirns, was sind schon ein paar Cent gegen ein paar tausend Dollar..? „Halt endlich Dein verdammtes Maul!“. Ist ja gut, sagt die vernünftige Seite meines Gehirns und verzieht sich dorthin, woher sie gekommen war.

Wenn ich Glück habe, finde ich in der Stadt ein nettes Cafe, in dem ich den Tag verbringen kann. Wenn ich besonders viel Glück habe, hat es auch Internet-Anschluss.
Ich merke, wie blöd dieser Wunsch doch ist – Wenn ich BESONDERS viel Glück habe. – als wäre das Glück neuerdings auf meiner Seite.

Doch andererseits, vielleicht war es ja doch Glück, als ich vor ein paar Tagen in Beltana, einer abgeschiedenen Gegend in den Flinders Ranges, noch einmal mit dem blauen Auge davon gekommen bin. Das Beltana Roadhouse sitzt wie eine kleine Blechoase in der ansonsten konsumlosen Berglandschaft. 60 Kilometer davor und 60 Kilometer danach folgt nichts als trockener Asphalt, und das auch nur, wenn es nicht regnet. Vom Roadhouse ausgehend gibt es eine dritte Straße, die nach Beltana Historic Town führt, und das ist die Straße, die Charlie und ich nahmen. Beltana Historic Town ist eine Geisterstadt: Ein Freiluftmuseum zum Leben im Outback, das nur über schwierige Straßen zu erreichen ist: Üble Schotterwege und unebener Boden. Vielleicht war es das, was Charlie zum Schluckauf brachte.

Beltana Historic Town

Fast die Hälfte aller Gravel Roads in Australien sind geriffelt, und bisher habe ich noch nicht herausgefunden, welcher Idiot sowas macht. Geriffelt heißt, dass der Schotter nicht glatt auf den Boden gepresst wurde, sondern ein sich wiederholendes Hügelmuster hat. Wer darüber fährt und keine butterweichen High-Tech-Stoßdämpfer hat, spürt den Zustand einer solchen Straße als Erdbeben der Stärke 9.
Zuerst vermutete ich Speed Bumping: Einen Trick der Straßenverkehrswacht, um Autofahrer von schnellem Fahren abzuhalten. Doch auf den zweiten Blick machte das keinen Sinn, denn selbst bei langsamer Fahrt beeinträchtigten die Hügel die Sicherheit beträchtlich: Allein das Bremsen konnte den Wagen zum Schleudern bringen. Ich wäre mehrmals fast zur Seite hinausgeflogen, wenn ich nicht rechtzeitig gegengelenkt hätte.

Gravel Road (ohne Noppen)

Nach etwa 90 Kilometer auf einsamer Strecke bemerkte ich, wie Charlie Schwierigkeiten hatte, den Gang zu halten. Mehr als 40 km/h schaffte er kaum, ohne dass die Umdrehungszahl in ungeahnte Höhen schoß. Kam das vom vielen Schütteln? Ich sah mir das Problem bei geöffneter Motorhaube an.
Eigentlich verstehe ich nicht viel von Motoren, aber das schleifende Geräusch gehörte hier ganz sicher nicht hinein.
Ein freundlicher Australier, der inzwischen neben mir gehalten hatte, bot mir seine Hilfe an – doch der Wagen fuhr ja noch. Es waren einfach die Gänge, die nicht mehr so rund liefen, wie gewohnt. Dabei konnte er natürlich nicht helfen. Trotzdem, wenn ich einmal Schiffbruch erleiden sollte, könnte ich auf schnelle Hilfe hoffen, und das ist in einer abgelegenen Gegend, wie dieser hier, ein Segen.

Bergglühen

Schon kurz darauf fuhr der Wagen wieder ohne zu murren, und so schaffte ich es noch, bevor die Sonne hinter den glühenden Bergen verschwunden war, zurück auf die geteerte Straße. Bei einem zweiten Hörtest war auch das Schleifen nicht mehr ganz so schlimm.
Zunächst nahm ich mir vor, den Wagen in Port Augusta untersuchen zu lassen, doch als ich dort ankam, lief er schon längst wieder rund. Vielleicht, so dachte ich, war einfach nur ein bisschen Staub auf den Antriebsriemen gekommen. Vielleicht ist jetzt schon wieder alles in Ordnung.

In Port Augusta blieb ich genau lange genug, um einmal feucht durch den Wagen zu wischen.
Außerdem schlief ich ausnahmsweise in einem Motel. Den Luxus für 22 Dollar wollte ich mir nach einer Woche in den Flinders einfach gönnen.

Der nächste Morgen begann dann mit einer schwierigen Entscheidung: Sollte ich meinen ursprünglichen Plänen folgen und auf die Eyre Halbinsel fahren oder eine weitere Detour ins Outback wagen? Port Augusta bietet sich als Ausgangsbasis für beide Richtungen an. Das Ziel im Outback heißt Coober Pedy („Kuba Piedie“), liegt 550 Kilometer landeinwärts und nennt sich selbst „Opal Capital of the World“. Tatsächlich besitzt die Stadt eines der größten Vorkommen an Opalen, ist aber, davon einmal abgesehen, wenig lebensfreundlich: Laut Reiseführer Lonely Planet wirkt sie wie das Eingangstor zum Ende der Welt. Die Tage werden unerträglich heiß und die Nächte haben regelmäßig Frost. Die Menschen leben deshalb in unterirdischen Wohnungen und Wasser gibt es nur gegen bares Geld (20 Cent für 30 Liter). Genau solche Extreme sind es aber, die mich an Australien immer gereizt haben, und dass Coober Pedy auf meiner Reiseroute liegen sollte, war mir deshalb schon seit einer Weile klar. Die Frage war nur: Fahre ich auf der Durchreise nach Perth vom Süden nach Norden, oder mache ich die Detour in umgekehrter Richtung von Alice Springs aus – also erst in ein paar Monaten? Beide Strecken sind ungefähr gleich lang.
Da zwischen Alice Springs und Coober Pedy einige Schauplätze von Filmproduktionen liegen („Mad Max“, „Prescilla – Queen of Desert“), entschied ich mich für die spätere Variante.
Für heute folgte meiner ursprünglichen Route entlang der Eyre Pensinsula-Küste: Zuerst nach Port Lincoln, dann weiter nach Ceduna, an der Nullarbor Ebene vorbei und schließlich nach Perth: 3000 k’s on the road.

Es sollte nicht lange dauern, bis sich diese Entscheidung als die Klügere herausstellte.

Warum Whyalla?

Besucherzentrum von Whyalla

Whyalla ist die erste größere Stadt nach Port Augusta und mit 20.000 Einwohnern die Zweitgrößte (!) von Südaustralien (direkt nach der Millionenstadt Adelaide). Für die meisten Touristen ist sie nur Durchgangsstation, weshalb sie von Reiseführern in der Regel nicht weiter gewürdigt wird. Dabei gibt es in der industriellen und trotzdem reichlich verschlafenen Wild-West-Pappaufsteller-Stadt durchaus was zu sehen: Dreißig Kilometer außerhalb können Schnorchler im 18 Grad kalten Wasser nach Cuttlefischen Ausschau halten: Friedliche Sepien (tintenfischartige Tiere), die im Sonnenlicht geheimnisvoll leuchten und auch von begeisterten Tauchern kaum aus der Ruhe zu bringen sind. Die Frauen im Besucherzentrum brauchten natürlich nicht lange, um mir die bunten Weichtiere schmackhaft zu machen, wiesen aber darauf hin, dass sie unter Naturschutz stehen und man sie deshalb nicht essen darf (Was manche Leute aber trotzdem tun).

Da sich am Horizont schon langsam die ersten roten Töne in den milchblauen Himmel mischten, beschloss ich die Fische auf den nächsten Tag zu verschieben und mir einen Parkplatz für die Nacht zu suchen. Vorher schnappte ich aber noch die Kamera aus dem Auto, um ein paar Aufnahmen vom großen Marine-Schiff zu schießen, das neben dem Besucherzentrum stand. Als ich weiterfahren wollte, fiel mir der Kiefer ein paar Etagen tiefer. Dort, wo meine Finger den Autoschlüssel vermuteten, war gähnende Leere. Ein Blick durch die Fensterscheibe auf den Fahrersitz verriet den Grund: Normalerweise nehme ich den Schlüssel immer mit – da Charlie aber das einzige Auto auf dem Parkplatz war, ließ ich sie auf dem Fahrersitz. Ich ging ja ohnehin nicht mehr als ein paar Schritte davon weg – und vergass das automatische Self-Lock-System (das sich aus einem unerfindlichen Grund monatelang still verhalten hat und seit rund zwei Wochen auf einmal funktionierte).

Ich war ausgesperrt.

Da half kein Murren und Jammern, kein Rütteln an der Scheibe oder am Kofferraum. Mein Auto hatte mir einen üblen Streich gespielt, und vermutlich kicherte es unter seiner Motorhaube insgeheim über meine Dummheit in sich hinein. Die Sonne hing schon auf den letzten Zentimetern über dem Horizont und kalter Wind blies vom Buschland herüber. Ich musste mir etwas überlegen, wenn ich nicht unter freiem Himmel übernachten wollte. Im Besucherzentrum zeigte man Mitgefühl – ich war wohl nicht der Erste, der von seinem Auto ausgesperrt wurde. Mit dem Knacken von Türschlössern kannten sich die Frauen jedoch nicht aus – mit dem klarmachen von Beziehungen dagegen schon: In Windeseile landeten drei Telefonhörer in vier Händen, es wurde telefoniert und weiterverbunden, zurückgerufen und neue Telefonnummern aufgeschrieben: Die RAA – der ADAC von Australien – kommt nur, wenn ich Mitglied werde, und das kostet 155 Dollar. Ford darf leider keine Tipps zum Öffnen der eigenen Autos geben. Schlüsseldienste sind auch nicht unter 100 Dollar zuzüglich Anfahrtskosten zu haben. Dann die rettende Idee: Ein Bekannter der Frauen war früher bei der RAA – vielleicht konnte er mir helfen. Sie hätten eben mit ihm telefoniert und gleich rufe er zurück. Vielleicht hat er Zeit. Abwarten.
Und ich überlege. RAA. Eigentlich keine so schlechte Idee. Man zahlt einen einmaligen Betrag und bekommt einen Jahr lang Hilfe bei Problemen mit dem Auto. Selbst im Outback. Es ist zwar erst mal etwas teuer, aber auf meiner langen Fahrt vielleicht keine so schlechte Idee. Dann der Rückruf des Bekannten: Für 20 Dollar macht er mir das Auto auf. Gut, da musste ich nicht lange überlegen und pfiff auf die RAA.

Eine Viertelstunde später fuhren sie vor: Zu zweit, mit einer Brechstange und einem langen Draht. Geübt und vorsichtig hebelte der eine die elastische Fahrertür einen Spalt weit auf, während der andere mit dem Draht im Wageninneren fuhrwerkte. Der erste Versuch den Türgriff aufzuziehen scheiterte. Beim zweiten Versuch bekam er den Griff zu fassen, zog ihn langsam hoch und … rutschte ab. Mit einer Zange justierte er den Draht. Ein dritter Anlauf, ein vierter. Beim fünften Versuch sprang die Türe endlich auf. Ich war gerettet: Für 20 Dollar, ein Schnäppchen.

Im Endorphinüberschwung verbrachte ich den Abend auf einem kostenlosen Parkplatz in der Innenstadt. Ungewöhnlich viele Fussgänger spähten misstrauisch durch die Scheiben. Eigentlich bin ich es gewohnt, dass die Leute mich ignorieren, doch hier in Whyalla ist man an Touristen wohl nicht gewöhnt.

Am nächsten Morgen besorgte ich mir eine Taucherbrille mit Schnorchel. Dreißig Minuten später bretterte ich den Schotterweg an der Küste entlang. Wieder bockte Charlie, gab mir maximal die ersten zwei Gänge. Bei zu viel Gas jaulte er laut auf. Trotzdem kamen wir voran, und irgendwann standen wir auf einem schräg an den Abgrund gebauten Parkplatz. Mit der Brille bewaffnet kletterte ich die steilen Felsen hinab. Der Wind war kühl, aber die Sonne brannte unerbittlich auf die dünne Schicht Sonnencreme. Zwei Waterbiker fuhren die Küste ab, hielten immer wieder an, wild auf das perlmutt-schimmernde Meer gestikulierend. Kurz darauf verschwanden sie hinter dem nächsten Riff, aber ihre Motoren vernahm man noch eine ganze Weile.

Schnorchel-manniac

Das Wasser war wie erwartet frostig. Während mir an den Beinen nur die Haare zu Berge standen, wurde das Abtauchen für meinen Bauch zur Belastungsprobe. Wie zu Stein gefroren stand ich auf dem glitschigen Boden, traute mich keinen Millimeter nach vorne noch zurück. Jede kleine Welle jagte Adrenalinflöckchen durch die Blutgefäße, und jeder Schritt, egal in welche Richtung, machte es nur noch schlimmer – sollte ich umkehren? Auf die Fische pfeifen!? Dabei war ich doch schon nass… Ach, ich gewöhne mich bestimmt schnell daran! Aber bis dahin ist es ganz widerlich kalt! Das hältst Du schon aus, Du bist doch ein Mann! Ja, und!? Stell Dich nicht so an, Cowboy! Aber ich stell mich eben an!! Rein in die Fluten! Ich will nicht, ich will nicht, ich will… Wer nicht hören will, muss fühlen!
Pflatsch!

Millionen kleiner Nadelstiche perforierten die Haut und liessen alles an mir ganz klein werden. Oder wurde alles um mich herum auf einmal riesengroß? Salzwasser ran durch meine Nasenlöcher und jagte durch einen plötzlichen Nießer wieder ins Freie. Alles spritzte, stach, quirlte und blubberte. Ich gab mich geschlagen und tauchte ab ins eisige Meer.

Unterwasserwelt

Die Welt unter Wasser war grün und braun, und solange die Taucherbrille nicht von innen beschlug, war es gar nicht so schwer, die Orientierung zu behalten. Eine durchsichtige Halbkugel schwam in zwei Metern an mir vorbei. Respektvoll nahm ich eine andere Richtung, denn Australiens Quallen haben unangenehme Talente. Während ich mich weiter auf das offene Meer bewegte, wurde es bis auf vier Meter tief, blieb aber auf zwanzig Meter Weite klar.
Ich musste nicht lange suchen, bis ich die ersten Exemplare zwischen den braunen Algen ausmachen konnte. Für anderes marines Leben gut getarnt, aber für das menschliche Auge hervorragend sichtbar, schwebten die mittelgroßen Tiere gemächlich am Grund entlang – ihre schillernden Seitenlinien flatterten weich in der Strömung. Von mir schienen sie keine Notiz zu nehmen. Nur einmal, als ich mich ein bisschen zu schnell näherte, rückte einer von ihnen rasch zurück. Immer wieder tauchte ich hinab und entdeckte jedes Mal einen anderen Cuttlefisch – von einem kleinen Baby bis hin zu großen ineinander verschlungenen Paaren. Auch Seeigel fanden sich reichlich und ich musste achtgeben, dass ich sie und die anderen bunten Pflanzen mit meinen flossenlosen Füßen nicht berührte.

Zwei Cuttlefische umgarnen sich

Nach 20 Minuten hatte ich genug – die Kälte des Wasser spürte ich zwar schon lange nicht mehr, aber ich musste es ja nicht herausfordern. Die Rückkehr an Land war ähnlich schauderhaft, wie zuvor der Sprung ins Nass: Der kalte Wind saugte jedes Quentchen Wärme aus dem Körper. Ich trocknete mich ab und ließ mich noch ein wenig von der Sonne wärmen, ehe ich mich zurück zum Auto begab. Es war schon spät und ein langer Weg in den Süden stand mir bevor.
Vierzig Minuten später rauschte Whyalla ein zweites Mal an uns vorbei und wir erreichen den Lincoln Highway. Kurz darauf waren wir wieder mitten im Busch, auf dem Weg ins 100km entfernte Cowell. Ich hatte mir angewöhnt, nicht mehr schneller als 80 bis 90 km/h zu fahren. Angeblich schont das den Motor, aber es hilft auch, Benzin zu sparen.
Nach etwa 60 Kilometern erhob sich plötzlich ein großes Plateau auf der rechten Seite der Fahrbahn. Die Sonne stand dahinter im Gegenlicht – eine verführerische Fotogelegenheit, darum hielt ich am Rand. Doch das Licht war zu stark – vom Berg kaum mehr zu erkennen als ein schwarzer Schatten.

Whyalla-Miene

Nach drei wenig berauschenden Bildern, stieg ich wieder in den Wagen und startete den Motor. Beim Gasgeben heulte er kurz auf, ruckelnd setzten wir uns in Bewegung, doch mehr als 30 km/h lockte ich nicht aus ihm heraus. Dann starb das Gas völlig, nur die Anzeige mit den Umdrehungen jagte hoch bis Dreitausend. Viertausend. Nichts, der Wagen rollte von der Schwerkraft gezogen das leichte Gefälle hinab. Ich hielt und stellte den Motor ab. Startete erneut. Wieder gab ich Gas bis die Kraft plötzlich nachließ. Wieder rollten wir nur. Ich startete erneut: Vorsichtig versuchte ich ihn auf 40 km/h zu beschleunigen, um den Tempomat zu aktivieren – vielleicht konnte der ja, was mein Gaspedal nicht kann? 30… 35… 39… 37… 32. Der Wagen rollte nur, auf Gas reagierte er gar nicht mehr, wir kamen zum Halt. Inzwischen schaffte er nicht einmal mehr den ersten Gang. Gut, dass ich schon auf den Seitenrand gefahren war, denn hinter mir kündigte sich eine Kolonne aus Road Trains an.
Mit jedem vorbeirauschenden Fahrzeug zog es Charlie für eine Millisekunde zur Seite. Als sie vorrüber waren, versuchte ich es erneut: Doch die Gänge waren tot und ich gestrandet.

Es muss ein Bild des Jammers sein, wenn man als Lastwagenfahrer die endlosen Strecken an Südaustraliens Küsten entlang fährt und verzagte Touristen mit stehengebliebenen Autos am Straßenrand sieht, aus deren Motorhauben es kleine Atompilze dampft. Bei Charlie dampfte zwar nichts, aber er fuhr einfach nicht mehr. Ich stand halb auf der Straße und hob meine Hand in die Luft. Das erste Fahrzeug, das mir entgegenkam, hielt. Es war ein über 100 Meter langer Road Train, und der Fahrer begrüßte mich mit einem Lachen, das den Ärger schon fast wieder vergessen machte. Mir war klar, dass er nicht direkt helfen konnte, aber vielleicht konnte er ja Hilfe rufen. Zum Beispiel die Jungs und Mädels von RAA – und die Nummer hatte der Truckfahrer auch und selbst der Handyempfang lief. Dass ich dann auch Mitglied werden musste, war mir klar. Oh hätte ich das nur gestern schon gewusst!

Da wir genau in der Mitte zwischen zwei Orten standen, entschied die Frau am Apparat, dass die Hilfe aus Whyalla kommen sollte. Das hieß, wenn ich abgeschleppt würde, dann auch dort hin zurück – was schlecht wäre, weil ich dann ja das Benzin für diese Strecke zwei Mal zahlen muss. Sie nahm meine Daten auf und versprach, so schnell wie möglich jemanden vorbeizuschicken. Aufgrund der großen Entfernung, konnte das aber dauern.
Dem Truck-Fahrer fiel es sichtlich schwer, mich allein zurückzulassen. Ich glaube, solche Leute haben ein großes Herz, was wohl daher kommt, dass sie durch so ein lebensfeindliches Land fahren. Da entwickelt man in seiner Einsamkeit wohl automatisch ein starkes Abwehrorgan.

Ich rechnete mit rund einer Stunde Wartezeit und vertrieb sie mir, indem ich mit den Kisten aus meinem Kofferraum Mahjong spielte. Die Box mit dem Geschirr nahm ich dabei vollständig auseinander, was ich schon eine Weile vor mir hergeschoben hatte. Darin hat sich vor einiger Zeit eine Flasche Spülmittel mit BBQ-Sauce gepaart und sich gleichmäßig auf alle Teller und Töpfe verteilt. Eine feine Sache für langweilige Stunden.
Mit meinem 15-Liter Wassertank wusch nach und nach alles sauber. Für die vielen Autofahrer, die an mir vorbeifuhren, musste das ein merkwürdiger Anblick gewesen sein: Warum picknickte der Mann denn am Straßenrand?
Es vergingen 40 Minuten, 50 Minuten, eine Stunde. Nichts. Mit der Reinigung war ich inzwischen fertig, darum hatte ich mich zum Aufwärmen wieder ins Auto gesetzt. Die Sonne stand schon so tief am Horizont, dass ich darüber nachdachte, mein Foto von vorhin zu wiederholen. Doch durch die Fahrversuche war der Berg zu weit rechts und die Sonne zu weit links. Gemeinsam bekam ich sie so nicht mehr aufs Foto. Das Glück hatte sich wohl schon beim Schnorcheln verausgabt.
Wieder vergingen 30 endlose Minuten, bis endlich am Horizont die Lichter des mittelgroßen Lastwagen über die Bergkuppel kullerten. Kurz vor mir setzte er den Blinker.

Charlie wird abgeschleppt

Ein wortkarger Raubautz stieg aus dem Wagen und ließ ohne eine Minute zu verlieren die Hebebühne auf die Straße. Eine Reparatur auf der Strecke konnte ich wohl vergessen, und im selben Moment verschwanden auch schon die letzten gleißenden Lichter der Sonne. Der Himmel glühte dunkelrot.
Beim Zurücksetzen hebelte der LKW einen Leitpfosten aus der Erde, den ich etwas hilflos vor den Hinterrädern wegzog und seitlich ins Gebüsch warf. Das Aufladen machte er dann ganz allein. 15 Minuten später saßen wir im Führerhaus, er telefonierte mit der Zentrale: „Sag mal, was kostet eigentlich eine neue Gearbox? Tausendsiebenhundert. Danke.“

Ich glaubte mich verhört zu haben und fragte nach, doch es stimmte. Wenn er recht hatte und die Gearbox kaputt war, kostetete mich das 1.700 australische Dollar. Das sind rund 1.100 Euro. Ich fragte ihn, ob es nicht auch Second-Hand-Ware gab? Das sei schon Second-Hand. Neu ist man mit 7.000 Dollar dabei. Das ist fast das doppelte von dem, was mich der Wagen ursprünglich gekostet hat.

Die meiste Zeit auf der Fahrt verbrachten wir schweigend. Ich war zu sehr mit mir beschäftigt, um auf Small-Talk wert zu legen, und überlegte, was mich der ganze Spaß noch kosten würde. Die Reparaturen nahmen ja scheinbar kein Ende. Ich wußte auch langsam nicht mehr, wo das viele Geld herkommen soll. Als Backpacker verdient man ja nicht viel, und man muss sich beim Arbeiten auch immer auf einen Ort festlegen.
Wenn ich den Norden noch vor der Regenzeit im September hinter mich bringen möchte, ist das zeitlich kaum zu schaffen.

Zurück in Whyalla wurde mir dann die Rechnung des Tages präsentiert. Als frisches RAA-Mitglied hatte ich nur Anspruch auf den Basis-Dienst, und der deckte maximal 32km für das Abschleppen ab. Bei mir waren es aber 64km. Je Richtung. Die überzähligen Kilometer waren teuer und kosteten fast 120 Dollar. Wäre ich am Tag zuvor schon Mitglied geworden, hätte ich heute Anspruch auf den Plus-Service. Der kostet zwar 8 Dollar mehr, dafür wäre das Abschleppen bis 100km umsonst.
Wäre. Wäre ich flexibler, dann könnte ich mich dafür in den Hintern beissen. So blieb mir nur ein schmetterndes Greinen der Zähne. Und die riefen auch schon lange nach einer neuen Füllung. In Australien geht einfach alles kaputt.

Die Nacht über blieb ich auf dem Hof des RAA und schlief wieder im Auto. Da die Arbeiten schon früh begannen, kroch ich halbverschlafen aus den Federn – für einen notorischen Morgenmuffel wie mich eine Einladung zum Randalieren.
Während die Männer ihre Arbeit begannen, schnappte ich meinen Rucksack und machte mich auf den Weg in die Stadt.

Das Meer ist von hier aus gar nicht weit entfernt, und wenn ich die Augen schließe, höre ich es leise rauschen. Salziger Wind treibt durch die Luft – doch vielleicht bilde ich mir das nur ein – denn das Land um mich herum ist flach und öde. Das ist Whyalla. Und warum ausgerechnet hier? Warum mir? Keine Ahnung.
Müll liegt weit vertreut am Straßenrand und Plastiktüten flattern im Wind. Auf dem Weg gebe ich dem ein oder anderen Stein einen Tritt, und hin wieder muss auch mal eine Dose daran glauben.

Fortsetzung folgt…

 
Die Kilometer in die Flinders Range wurde aus einem flexiblen Topf finanziert, an dem sich unter anderem Julius und Text und Blog beteiligt haben. Die Kilometer an der Küste entlang bis nach Whyalla (aber nur die ohne Getriebeschaden) wurden gesponsort vom Magdeblog.

Die abgeschleppten Kilometer gehen aufs Haus :-(

 
 


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