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Meine Kanäle: Comedy & Cartoons / Reise-Abenteuer / Vlog-Schrott
30. Dezember 2007 / 17:04
OZ (Ost): December 31, 2007 / 03:04

AUSTRALIEN-REISE

Australian Bohème

Durch den Schlauch der Fluggastbrücke zieht ein Wind, der kühler ist als erwartet. Verschwommen erkenne ich die Schemen des Terminal 1 durch die dicken Plastiklamellen. Der Himmel ist wolkenverhangen, die Luft trüb. Das ist Sydney im Hochsommer? Ein schwacher Start.
Zunächst geht es durch die Abfertigungshalle, dann Baggage Claim, zum Schluß der Formularkram. Unerwartet schnell klebt mein Visum im Pass – eigentlich hatte ich mit Stunden gerechnet, mit einem Interview one-on-one in „the room“. Auf der Einreisekarte stehen alle Kreuze bei „No“ und schneller als ich denken kann, bin ich vorbei an der Wachhund- und Röntgenbrigade, die jeden Koffer auf mitgebrachte Früchte, schmutzige Schuhe und anderes verbotenes Gepäck scannt – nur eben nicht bei mir. Dann stehe ich in der großen Ankunftshalle – Endlich da! – doch vom schweren Rucksack bleibt mir die Luft weg.

Gänsehaut

Ein 15 Dollar-Shuttle bringt mich in die Stadt – für komplizierte und billige Alternativen fehlt mir die Lust. Um mich herum plaudert eine asiatische Famlie aus Kanada in perfektem Englisch – nach drei Wochen Thailand etwas, woran ich mich erst gewöhnen muss. Sie sind auf Winterferien hier und finden, dass es warm sei. Betreten ziehe ich mein T-Shirt etwas enger. Es hat 18 Grad – nicht unbedingt das, womit ich gerechnet hatte. Dann aktiviert der Fahrer die Klimaanlage, und es wird noch ein bisschen kühler.

***

Als ich im April 2004 zum Abschluss meiner zweimonatigen Neuseeland-Reise zum ersten Mal nach Sydney kam, schlief ich gleich an mehreren Orten. Vor Abflug hatte ich mir das „Base Backpackers“ als erste Anlaufstation ausgesucht. In Neuseeland war ich schon in zwei Hostels der Kette, und hatte gute Erfahrungen gemacht und da „Base“ laut Hausprospekt gerade nach Sydney expandierte, gab ich es dem Shuttlefahrer als Ziel an. Eine Telefonnummer hatte ich nicht, aber ich glaubte, direkt vor Ort meinen Schlafplatz buchen zu können. Der Fahrer schien zunächst verwirrt, fuhr mich dann aber anstandslos durch die Stadt. Nach 25 Minuten hielt er vor einem breiten orange-farbenen Schild: „There you are: Maze Backpackers.“. Es stellte sich heraus, dass das „Base Backpackers“ noch gar nicht eröffnet hatte, und es lediglich ein „Maze Backpackers“ gab – ähnlicher Name, aber ganz andere Kette.
Das „Maze“ war in dieser Nacht schon ausgebucht, und so wechselte ich ins wenige hundert Meter entfernte YHA Central, das ich von meinen Internet-Recherchen schon kannte. Die Zimmer waren sauber und groß, und die Stockbetten solide. In der Nacht lief eine geräuschlose Klimaanlage und vor der harten Sonneneinstrahlung schützten getönte Fenster. Da ich damals an neuseeländische Preise zwischen 18 und 22 NZ$ (rund 10 Euro) gewohnt war, schienen mir 32 AU$ (20 Euro) etwas teuer. In der nächsten Nacht wechselte ich daher in ein billigeres Hostel, einige hundert Meter entfernt in der George Street. Es war der Rucksack-Alptraum schlechthin: In dem knapp bemessenen, stinkenden Raum lagen zwölf breiigen Drahtgittermatratzen auf unterschiedlich durchgerosteten Gestellen und aus einer Ecke lärmte ein mickriger, aber ausgesprochen ineffizienter Ventilator. Seine Kühlleistung war kaum ausreichend und die Fenster deshalb weit geöffnet – der April-typische Dampf lag sumpfdicht in der Luft und an Einschlafen war gar nicht zu denken. Klarer Fall, dass ich zurück ins YHA wollte, doch die günstigen Betten dort waren in der nächsten Nacht schon ausgebucht. Ich landete schließlich wieder da, wo ich es schon am ersten Tag versucht hatte – im „Maze Backpackers“, und dieses Mal war ein Schlafplatz frei.
Ich habe heute nicht mehr genau in Erinnerung, wie ich das Irrgarten-artige Gebäude mit dem selbst-ironischen Namen „Maze“ (Labyrinth) empfand. Ich weiß zwar, dass mein Raum keinen Preis für stilvolles Ambiente hätte gewinnen können und andererseits wollte ich auch unbedingt wieder in das zwar teurere, aber angenehme YHA. Trotzdem verband ich nichts Negatives mit dem Ort und merkte mir die Adresse für einen möglichen Wiederbesuch.
Ich blieb nur eine Nacht, denn danach hatte sich wieder ein Zimmer im YHA gefunden. Den Rest der Woche verbrachte ich außerdem in einem ziemlich edlen Backpacker-Hostel in den Blue Mountains. Danach ging es zurück nach Deutschland – allerdings nicht ohne mir zu schwören, dass ich meine Reise in Australien fortsetzen würde, und zwar genau dort, wo ich sie im April 2004 unterbrechen musste.

Vor einem Monat, in Deutschland, als ich die Bettensituation in Sydney prüfte, stellte ich fest, dass die meisten schon ausgebucht waren – und natürlich auch alle im von mir favorisierten YHA. Klar: Ich wollte ja zu Weihnachten und zur Hochsaison dort hin, und ich gebe zu, dass ich gewarnt worden war, mich frühzeitig um die Übernachtung zu kümmern. Es gab jedoch einen Ort, der während der ganzen Zeit einen Zwei-Personen-Schlafraum bereithielt – es war nicht der Günstigste, aber etwas Ruhe konnte ich in der ersten Woche schon gebrauchen. Ich reservierte – und da es über Weihnachten bei den meisten Hostels einen Mindestaufenthalt von 7 Tagen gab, war ich nicht faul und machte 9 daraus.

***

Das Shuttle hält in einer Seitenstrasse und die asiatische Familie unterbricht ihren Schwatz für einen kritischen Blick nach draußen. „Base Backpackers, there you go.“. Nicht nur der Blick aus dem Fenster macht mich stutzig. Ich war zwar nicht exakt mit dem Stadtplan Sydneys vertraut, aber vom Gefühl her hatten wir das „Maze“ schon vor einigen Minuten hinter uns gelassen. Wieder einmal hatte der Fahrer mich falsch verstanden. Base, Maze – was fehlt meiner Aussprache? B-M-Schwäche? Jetzt standen wir also vor dem „Base“ – dem Hostel, in das ich schon vor 4 Jahren wollte und das damals noch gar nicht eröffnet hatte. Inzwischen war es das, aber zu Weihnachten, das hatte ich bei der Reservierung schon gesehen, war es restlos ausgebucht. Aber kein Problem, ich habe ja meinen Platz im „Maze“ und von hier aus sind es nur noch wenige Minuten.

XMAS-Zipfelmützen

Ich erkenne das orange-farbene Schild mit dem kleinen Labyrinth-Logo sofort wieder, und auch die Umgebung, die breite Straße und viktorianischen Hausfassaden vor den gläsernen Wolkenkratzern haben sich nicht verändert. Vor dem Eingang stehen mehrere Männer und Frauen – sie tragen rote Weihnachtsmützen und trinken aus Pappbechern. Ein paar rauchen oder gröhlen sich an – oder mich. „Merry XMAS, mate!“ – Aussies, Engländer. Es ist halb 12 mittags, Christmas Day. Gibt es einen besseren Grund, sich vormittags schon zu besaufen?

Mein Zimmer mit der Nummer 37. Einfach grauenhaft.

Der Check-In läuft fast problemfrei, nur statt dem versprochenen Zweier-Raum lande ich bei sechs bekifften Schweden. Falscher Schlüssel, aber nach einem Tausch an der Rezeption klappt’s schließlich und ich stehe dort, wo ich die nächsten anderthalb Wochen verbringen soll. Glauben kann ich das in dem Moment aber noch nicht: Das Zimmer ist – ich will es gar nicht schönreden – unerträglich. Auf weniger als 6 Quadratmetern steht ein wackeliges Stockbett quer im Raum und blockiert den Eingang. Der Teppich liegt lose über dem Boden und ist schon an einigen Stellen eingerissen. An der grün-lila Schmuddelwand baumelt müde ein vergilbter Ventilator und das Deckendesign besteht aus der Sorte Plastikstuck, das selbst bei Fans von Trash und schlechtem Geschmack noch einen Würgereiz auszulösen vermag.
Mein abwesender Zimmernachbar hat mit seinen Sachen schon die untere Matratze belegt, ich muss wohl auf die wabbelige Obere. Ein Test zeigt, dass mir eine unruhige Nacht bevorstehen könnte, je nachdem wie friedlich der Mensch im Bett unter mir schläft. Das Adressschild an seinem Koffer verrät Herkunft und Alter: Engländer, Mitte 20. Ich denke an meine Erfahrung mit Engländern in Neuseeland. Von allen Mitreisenden gehörten sie stets zu denen, die am wenigstens mit Lautstärke und Alkohol umgehen konnten. Die Zipfelmützen am Eingang hatten das wieder bestätigt. Da es etwas mieft, öffne ich das Fenster. Auf dem Zwischendach sitzt eingekauert eine kleine zitternde Taube. Es ist kalt da draussen.
Gar nicht gut.

Überwachungskamera in Sydney zwischen Wolkenkratzern

Den ersten Nachmittag erkunde ich die nähere Umgebung und vergleiche sie mit meiner Erinnerung. Der kleine Italiener mit den sehr leckeren Pizzastücken ist immer noch da, genauso wie das große koreanische Internet-Café an der George Street. Die Preise für Internet sind allerdings keinesfalls mehr gleichen. Was vor 4 Jahren üblich war, nämlich 1 bis 2 Dollar je Stunde, haben die Zensur- und Filtervorschriften der australischen Regierung erfolgreich auf den zwei- bis dreifachen Preis katapultiert. 5 bis 6 Dollar je Stunde sind keine Seltenheit. Der Discountpreis von 2 Dollar je Stunde ist nur bei hohen Prepaidzahlungen und nur für Mitglieder zu haben, und das auch nicht überall. Selbst die Preise für Getränke sind erschreckend: 3 Dollar für eine Flasche Wasser in einem Land, in dem man Leitungswasser nur unter drohendem Verlust des Geschmackssinns zu sich nehmen kann – wer kann sich das denn leisten?
Auch mit anderen Produkten kommt man in Sydney nicht billiger davon. Im Grunde sind es die gleichen Preise wie in den teuren Lebensmittelgeschäften bei uns. Das mag für den Kurzurlauber okay sein, aber jemand, der auf seine Finanzen achten muss, hat es eher schwer – vor allem, wenn er das Geldausgeben gewohnt ist.

Asia Feinkostmarkt

Was einem Europäer an Sydneys Strassenbild sofort auffallen muss, sind die vielen Asiaten – der Status als Mitglied des Commonwealths of Nations mit der britischen Königin Elizabeth II als Staatsoberhaupt täuscht leicht darüber hinweg, dass sowohl Australien als auch Neuseeland Einwanderungsländer für Südostasien sind. Andererseits könnte mein Eindruck auch daran liegen, dass das „Maze“ direkt am Rand von Chinatown liegt.
Direkt hier ums Eck entdecke ich einen großen Laden, den ich gerne auch in Berlin hätte. Er sieht aus wie ein ganz normaler moderner Supermarkt, bietet aber so ziemlich die größte und interessanteste Auswahl asiatischer Speisen, Getränke, Süßigkeiten und Backwaren die man sich nur vorstellen kann. Normalerweise kenne ich asiatische Märkte als düstere, bis unter die Decke vollgestopfte Räume, die sich mit etwas Dampf aus der Nebelkanone fast immer auch prima als verschwörerische Abenteuerkulisse in einen Indiana Jones Film eignen würde. Dieser Supermarkt dagegen ist ein edler, heller Großmarkt, eine Art Karstadt Feinkostabteilung mit Fokus auf Asien.

Weihnachtsbaum im Einkaufszentrum

Gegen Nachmittag bietet es sich an, zu einem der großen Strände hinauszufahren – es ist immer noch Christmas Day in Australien, und das merkt man nicht nur an den völlig überdrehten Menschen, die mit Elchgeweihen auf dem Kopf und Bazooka-Wassergewehren um den Hals, Stille-Nacht-heilige-Nacht-pfeifend die Angestellten des Hostels (und mich) in den Wahnsinn treiben. Eine Event-Tafel im Hostel bewirbt die XMAS Party am Bondi Beach – angeblich die einzige, auf der man Bier am Strand trinken darf. Alkohol in Australien – ein schwieriges Kapitel.
Vielleicht hätte ich mich noch aufgerafft, denn obwohl die Müdigkeit nach 9 Stunden Flug noch an meinen Gliedern zerrte, wollte ich nur ungern meine einzige Chance verpassen, aus erster Hand zu erfahren, wie der durchschnittliche Aussie Weihnachten feiert. Dagegen sprach aber die Aussicht, rund 50 Dollar in Eintrittsgelder zu investieren, ohne auch nur einen Tropfen Getränk zu sehen – weshalb ich jetzt hier auch keine Strandbilder von Weihnachten präsentieren kann. Statt dessen verbringe ich den frühen Abend in den Straßen von Darlinghurst, genauer gesagt in der Oxford Street, die alljährlich im März Schauplatz des berühmten Sydney Gay and Lesbian Mardi Gras wird, aber auch an jedem anderen Tag des Jahres zu einem der schwul-lesbischsten Viertel der Stadt zählt. Für extensives Bar-Hopping fehlt mir aber die Energie und so endet nach einer kurzen Runde ums Carré mein Spaziergang bald wieder im Hostel, wo Engländer, Kiwis und ein paar bekiffte Schweden den festlichen Abend mit einem Schmalzlied nach dem nächsten in die Flucht schlagen.
Ich glaube, für ein gewisse Lustigkeit brauche ich noch ein paar Tage.

Die Stimmung im „Maze“ ist schwer zu beschreiben – vielleicht am ehesten als pervertierte Backpacker-Bohème mit Wurzeln in der angelsächsischen Gröhl- und Saufkultur. Gerne würde ich wechseln in eine andere Unterkunft, doch zwischen Weihnachten und Neujahr ist es ausgeschlossen, dass ich einene anderen Schlafplatz finde. Statt dessen bin ich gefangen an diesem mehr als gewöhungsbedürftigen Ort.
An jeder Ecke im Labyrinth wuselt ein mehrsprachiges Mit-, Über- und Durcheinander, dass man oft nicht weiß, ob man sich dazusetzen oder lieber schreiend davonlaufen möchte – nur wohin? Das Gesindel ist ja überall … Jetzt zum Jahresende sind sie hier, an diesem fatalen, promisken Ort, saufen sich die Köpfe leer und sind rücksichtslos laut bis spät in die Nacht.
Sie sind reine Fassade, und hinter jeder einzelnen verbirgt sich eine wilde Sau, die hier zum Vorschein kommt, weil sie das in der Heimat – sei es England, Brasilien oder die Schweiz – einfach nicht kann. Man erkennt sie meistens schon beim ersten Blick:
Über den Flur torkelt ein Bankangestellter in Hawaii-Shorts, an seiner Seite schlurft ein Immobilienberater mit aufgeknüpftem Fliederhemd.
Quer verstreut in den Nischen und Gängen liegen Bürofachkräfte mit Rastalocken über ganzkörpertätowierten Telekommunikationsingenieuren und spielen Skat, Mahjong, schauen fern oder zeigen sich Fotos oder den Schorf ihres letzten Surfunfalls. Sie wollten nach Sydney ins „Maze“, die letzten Hörner der körperlich schon nicht mehr vorhandenen Jugend abschlagen. Saufen, laut sein, Titten zeigen (die Männer!).
Und ich sitze daneben und frage mich, wie lange ich das wohl ertragen kann …

 
 


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