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Meine Kanäle: Comedy & Cartoons / Reise-Abenteuer / Vlog-Schrott
24. Januar 2008 / 08:17
OZ (Ost): January 24, 2008 / 18:17

AUSTRALIEN-REISE

Mit Charlie von Canberra nach Melbourne

Canberra

„Wer glaubt, Canberra sei eine einzige Bürokratie, die sich als Stadt verkleidet hat, glaubt wohl auch, Melbourne sei ein einziges Tennis-Tournier, das sich als Stadt ausgibt, und Adelaide womöglich nur eine einzige Kirche im Gewand einer Stadt.“

Die Autorin dieser Zeilen meint es wirklich ernst. Es ist der Versuch, zu retten, was nicht mehr zu retten ist, und eine Zeitschrift von Geschäftsleuten für Geschäftsleute namens B2B Canberra scheint dafür ein ausgezeichnetes Forum zu sein. Aber um die Zeitschrift soll es gar nicht gehen, sondern um die Stadt, in der obige Vergleiche noch wirklich möglich sind.
Canberra ist heute sowas wie Bonn war, bevor es Berlin gab. Nur während Bonn zu Nordrheinwestfalen gehört und Berlin nur Berlin ist, hat man Canberra gleich einen ganzen Bundesstaat spendiert: Australian Capital Territory, kurz ACT. Canberra ist Australiens Hauptstadt, für die man sich aus dem Unwillen entschieden hat, es weder Sydney noch Melbourne recht zu machen. Im unteren Zipfel von New South Wales gelegen, ist es von dem größeren Staat komplett umschlossen. Ein bisschen fast wie bei Berlin und Brandenburg – und das Verhältnis der Siedlungsdichten dürfte auch ähnlich sein.

Um sich mit dem Stadtbild Canberras anzufreunden, muss man sich zunächst an eine Sache gewöhnen: Die meisten Straßen dienen der Füllung des Raums und weniger zur Beförderung von A nach B. Die wenigen Bars und Diskotheken der Innenstadt sind strikt getrennt von den Wohngegenden, und wen es zu ausschweifenden Einkäufen drängt, wird im ebenfalls gut isolierten Industriepark Fyshwick fündig. Eine Sache verbindet die vielen kleinen Zentren miteinander: Die zwingende Notwendigkeit zum Besitz eines Autos, ohne das schier gar nichts geht.

Neues Parlamentshaus in Canberra

Mit Platz ist das 300.000 Einwohner-Kaff reichlich gesegnet – der überwältigende Teil davon wurde jedoch in Nationalparks angelegt, und nur ein relativ kleiner Rest füllt die Lücken im innerstädtischen Bereich. Die bestehen dafür aber aus ausladend großen Prachtparaden, unvorteilhaften Kreisverkehren, formunschönen Regierungsgebäuden oder internationalen Luxus-Botschaften.
Es scheint bei dieser Ansammlung an politischer Zweckbaukunst kein Wunder, dass Canberra der Ruf anheim liegt, eine einzige als Stadt verkleidete Bürokratie zu sein – auch wenn der Ausspruch wohl mehr der Politik selbst geschuldet sein mag, die von vielen Australiern immer mehr als einmischend und regulierend wahrgenommen wird – zuletzt zum Beispiel bei der umstrittenen Aussperrung von pornografischen und angeblich gewaltverherrlichenden Seiten des Internets durch automatische Filter bei den australischen Providern.
Die meisten der Bewohner arbeiten hier mehr oder weniger direkt für die Politik, die schließlich der wichtigste, wenn nicht der einzige Grund ist, warum der kleine Ort kein roter Fleck auf den australischen Landkarten geblieben ist. Canberra ist ein Musterbeispiel für eine geplante Stadt, und ich möchte keinen Zweifel an der Vermutung lassen, dass sie auf dem Reißbrett wirklich toll aussah.
Man kann aber wohl darüber streiten, wieviel vom Charme des Entwurfs in die Realität rübergerettet wurde. Was sich zum Beispiel die Architekten des neuen Parlamenthauses gedacht haben, als sie es für 1,1 Milliarden Dollar unter dem Capital Hill vergruben, wird wohl immer ein Rätsel der australischen Geschichte bleiben, das vielleicht noch am ehesten mit der Ausrede erklärt werden kann, dass das alte Parlament schlicht zu alt und zu klein geworden war. Ursprünglich aus Geldknappheit für nur 50 Jahre konzipiert, wurde der langgestreckte weiße Bau 1988 nach 60 Jahren durch das neue Gebäude auf unter dem Berg ersetzt, und dort soll es nun immerhin mindestens 200 Jahre bleiben – wenn es nicht vorher schon vor lauter Bürokratie auseinanderfällt.

Magna Carta in Canberra

Beide Parlamentsgebäude sind für Besucher geöffnet und präsentieren stolz Einblicke in die jüngere australische Geschichte und die damit verbundene ältere Europäische. Im neuen Bau steht neben – aus künstlerischer Sicht – mehr oder weniger langweiligen Portraits früherer Regierungspräsidenten und der Königin Elizabeth II, auch der Originalschreibtisch, auf dem Königin Victoria der australischen Föderation am 1. Januar 1901 den Startschuß gab (und knapp einen Monat später selbst verstarb), und – Highlight – eine der vier erhaltenen Exemplare der Magna Carta von 1215.

Ein bisschen weniger stolz dürfte die Regierung auf die Flaggen und Zelte sein, die auf dem Platz vor dem alten Parlament aufgeschlagen sind und neben denen Transparente und Flugblätter Parolen wie „Diese australische Regierung ist illegal!“ und „Völkermord ist in Australien kein Verbrechen“ skandieren. Sie gehören zur Aboriginal Tent Embassy und gelten dem fortwährenden Protest der australischen Ureinwohner und ihrer Forderung nach umfassender Wiedergutmachung für das ihnen zugefügte Unrecht während und nach der britischen Kolonialisierung Australiens.

Aboriginal Flagge bei der Tent Embassy

Obwohl es mich reizt, auch die zweifellos vorhandenen unbekannten Seiten von Canberra zu erkunden, bleibt die Stadt dieses Mal nur eine kurze Zwischenstation. Bis zum Ende des Monats möchte ich mich endlich in den Urwäldern Tasmaniens wiederfinden. Vielleicht bleibt mir bei meiner zweiten Durchfahrt im März etwas mehr Zeit herauszufinden, was hinter der Bürokratiefassade wirklich steckt.

Mein Auto “Charlie”

Nachdem ich den halben Montag vormittag damit verbracht habe, den noch seit dem Kauf leicht schmutzigen Ford Falcon mit Politur und Glasreiniger auf Vordermann zu bringen, wird es nun auch Zeit für eine Taufe. Die Dinge brauchen Namen. So heißt die Festplatte in meinem Laptop schon seit eh und je Knusenbrecht, mein Backup-Toughdrive von Freecom hört auf den schönen Namen Dear Jessie, und auch sonst finde ich es eine schöne Sitte, den Dinge, mit denen man Zeit verbringt, zumindest den Anschein von etwas Menschlichem zu geben. Vor allem, wenn man sonst niemanden hat, mit dem man Zeit verbringen kann. Na, Ihr lacht jetzt – aber, na und? Robinson hatte Freitag, Elwood war mit Harvey befreundet und Tom Hanks hat sich die besten Stunden beim Ballspiel mit Wilson vertrieben.
Ich habe Charlie* und Charlie wird in den kommenden elf Monaten mein bester Kumpel sein.

*Inoffizieller Taufpate für Charlie ist übrigens der YouTuber Charlieissocoollike, sowie ein kleiner Seitenhieb auf meine anfänglichen Probleme mit der Klimaanlage des Ford Falcon. Cool-like, eben.

Gegen Mittag setze ich mich mit Charlie in Bewegung: Richtung Highway 31 – mehr als 650km Fahrt durch besten australischen Busch. Nächstes Etappenziel: Die Hauptstadt des Bundesstaats Victoria und Australian-Open Gastgeber Melbourne. Let’s roll.

Australischer Busch

 
Der Morgen danach

Das Ausmaß der Zerstörung wird mir erst klar, als ich aus dem Wagen steige und vor die Frontseite trete. Ich stehe auf einer Raststätte, ca. 20 Kilometer von der Stadtgrenze Melbournes entfernt, wo ich die Nacht im Fahrzeug verbracht habe. Die Müdigkeit, die mir noch in den Knochen steckt, jagt mir der frostige Wind aus den Jeans, die schon seit mehreren Tagen nach Waschmaschine schreien – doch was zählt schon körperliche Hygiene, angesichts des Massakers, das sich in der Nacht davor unbemerkt von meinen müden Augen ereignet hat: Auf der vormals glattgeputzten Motorhaube reihen sich dicht an dicht unzählige Leichenteile. Wenig besser zeigt sich der Zustand auf der Windschutzscheibe – auch hier dampfende Gedärme aus tausendundeiner Schlacht. Wie vielen Mücken, Termiten, Libellen und anderem fliegendem Ungeziefer meine 8-stündige Fahrt von Canberra nach Melbourne das Leben gekostet hat, kann ich gar nicht zählen, doch sollte eines fernen Tages eine weltliche Regierung das Unrecht von Menschen an Tieren vergelten, werde ich mit Sicherheit des Völkermordes angeklagt.
Überhaupt birgt die hügelige Strecke über die Kuppeln und Nuppel der „Great Dividing Range“ – des quer verlaufenden Gebirges im Südosten Australiens – viele Gefahren, für Tiere und Fahrzeuge gleichermaßen. Die endlosen Aneinanderreihungen plattgefahrener Possums, Koalas und Wombats [SIC!] erzählen traurige Geschichten – keine davon annähernd so heiter, wie die der flachen Ratte, die Funny van Dannen während der Weiterfahrt aus meinem MP3-Radio krächzt.

Skyline von Melbourne (allerdings nicht am morgen, sondern etwas später am Tag)

Die Skyline von Melbourne ist sehenswert und – so vermute ich – Motiv zahlreicher, mir jedoch unbekannter australischer Serien-Intros (Und falls nicht, sollte sie es unbedingt werden): Zart heben sich die imposanten Wolkenkratzer gegen den in weiches Blau aufsteigenden Horizont ab, den die helle Morgensonne in ihr pastell-orange-farbenes Licht taucht (das Bild oben ist natürlich erst später am Tag entstanden, und außerdem irgendwo in der Innenstadt, und nicht, wie hier gemeint, vom Freeway aus). Die kurvenreiche Einfahrt in die Stadt führt durch Vorortstraßen, die so oder ähnlich den Randgebieten einer amerikanischen Großstadt entsprungen sein könnten. Nicht ganz so geschwungen wie die Berg- und Tal-Pisten von San Francisco und weniger flach, als der Kessel von Los Angeles, aber mindestens so charmant wie das typische Klischee einer amerikanischen Rastersiedlung präsentieren sich weite Teile der Einfahrt in Australiens zweitgrößte Stadt. Was sofort auffällt ist das weit verzweigte Tram-Netzwerk, das Melbourne den seltsam anmutenden Ruf eingebracht hat, der Welt zweitgrößtest Tram-Netzwerk zu beherbergen. Tatsächlich beherrschen Autos die Szenerie, und die Straßen sind hier, wie fast überall in den Innenstädten Australien, fast doppelt so breit wie nötig.

Straßenzug in Melbourne

Auch die Regeln des Verkehr halten einige Überraschungen bereit – so ist vorwärts einparken auf manchen Parkplätzen eine Todsünde und wer in der dicht-befahrenen Innenstadt das Rechtsabbiegen im Linksverkehr intuitiv auf der zweiten Spur rechts versucht, macht schnell Bekanntschaft mit der allgegenwärtigen Polizei. „Right turn from left only“, oder umgangssprachlich „Hook turn“, heißt die Regel-Spezialität, die angeblich für mehr Sicherheit sorgt, aber bei Ortsfremden meistens nur zu ungläubigem Staunen führt.

“Right turn from left only”-Straßenschild in Melbourne

Auch mir bereiten noch manche Besonderheiten des Verkehrs Probleme, weshalb ich, auf der Suche nach einem Abstellplatz für Charlie, gegen 1 Uhr nachts in einem Außenbezirk, 9 Kilometer vom Stadtzentrum, 2 Sekunden nach Rot über eine völlig verwirrend geschaltete Ampelkreuzung fahre. Noch ehe ich Gelegenheit habe, meinen Fehler zu bereuen, blinken mir auch schon hysterische rot-blaue Lichter durch den Rückspiegel ins Gesicht. Fast habe ich den Eindruck, die Polizei habe sich bewusst die am idiotischsten geschaltete Kreuzung der Stadt ausgesucht, um einsamen Verwirrten wie mir das Leben schwer zu machen.
Sofort und reumütig erkläre ich dem uniformierten Pärchen neben meiner Wagenseite, dass die Besonderheit der Kreuzung, die Straßenschrägstellung und der Vollmond die uneindeutige Richtung der Ampelanlage dazu geführt hätten, dass ich das rote Licht erst gesehen habe, als ich schon mitten bei der Überquerung war. „No worries, mate.“ Ein Satz, der viel sagt, und doch nichts. Natürlich prüfen sie meinen Führerschein, natürlich werde ich einem Alkoholtest unterzogen (bei dem ich mich anscheinend so blöd anstelle, dass ich gleich vier mal hintereinander in den Promillemesser pusten muss). Wo ich denn derzeit wohne (im Auto), wohin ich fahre (Tasmanien), was ich denn um diese Zeit noch unterwegs suche (einen Parkplatz..). So viele Fragen – am Ende belassen die Herren es bei einer Verwarnung (Puh..), und ich setze meine Fahrt mit zitternden Händen und irgendwie noch ein wenig verwirrter als zuvor fort (beobachten die mich jetzt noch heimlich mit Überwachungskameras..?).
Kurze Zeit später werde ich in einer Nebenstraße fündig, und parke Charlie am Straßenrand. Mit Isomatten und einer großen Sonnenblende schütze ich die Fahrzeugfenster vor neugierigen Blicken und richte mich im umgeklappten Kofferraum auf meiner großen Schaumstoffmatratze ein. Im Schein der ausgehenden Taschenlampe schmökere ich noch ein bisschen in Richard Dawkins „The God Delusion“, bis mir irgendwann die Augenlider zu schwer werden und die Geräusche der Nacht mit ihren Blätter-verschlingenden Possums, dem schneidend kalten Nachtwind und den unermüdlich heulenden Polizeisirenen in traumhaft weite Ferne rücken. Morgen ist ja auch noch ein Tag.

Übernachtung im Auto

 
 


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