OZ (WA): July 11, 2008 / 22:42
AUSTRALIEN-REISE
Regen und Splitter
In der Nacht fiel von oben eine ganze Menge Wasser. Kalt war es obendrein. Geschlafen habe ich natuerlich nicht viel. Und schliesslich bin ich vom Pressluftlaerm der Muellwaegen aufgewacht. 7:30 Uhr. Der Magen voller Steinbruch. Das erste Wort des Tages: ‚Wenn‘.
Wenn.
Wenn Lenovo meinen Computer nicht verschlampt haette, waere ich auch nicht im Internet-Cafe gesessen. Wenn ich nur 5 Minuten frueher gekommen waere, dann haette ich auch das Nummernschild noch erkannt. Wenn die dunklen Folien noch kleben wuerden, vielleicht haetten sie den Wagen gar nicht beachtet? Wenn mir nicht seit Wochen das geballte Pech der Suedhemisphaere um die Ohren floege, vielleicht waere dies das entspannteste Blog Deutsch-Australiens.
Doch unser analoges Universum kennt kein Konditional und ausserdem keine Gnade.
Aber beim Timing ist es Spitze.
So weiss ich genau, wie die Reifen quietschten, und dass das andere Auto irgendwie neu und dunkel war, als es vom Blitz gestoert um die Ecke verschwand. Aber das ist fuer den Polizeibericht so genau, wie ein Phantombild aus Fingerfarben.
Gut, es hat den Officer nicht gestoert – er macht das auch nur fuer die Statistik und ich vielleicht fuer die Versicherung. Aber was nuetzt die schon? Mit Versicherungen kenn ich mich aus. Das ist, wie vom Einbrecher Geld zurueckzuverlangen.
Gerade nachgeschaut: Natuerlich ist genau mein Fall nicht gedeckt. War ja klar.
Und das mir sowas passiert sowieso.
Dabei war ich mir zunaechst nicht sicher, ob es wirklich mein Auto war, das mir am Ende der langen Strasse mit offenem Kofferraum und hellen Innenlichtern entgegenblitzte. So hatte ich Charlie noch nie gesehen. Und als ich sein Nummernschild erkannte und anfing zu rennen, spukte es durch meinen Kopf: Das kann er nicht sein. Das darf er einfach nicht sein.
Aber er war es doch. In diesem Moment muessen die im Auto daneben mich gesehen haben. Wahrscheinlich waren sie gerade mit dem Einladen fertig und ich kam genau rechtzeitig zur Abfahrt.
Spots an: Die Reifen drehten ruckartig durch. Zack, schlittert er ums Eck und davon. Ich renne noch hinterher, auch wenn ich weiss, wie filmreif und sinnlos das ist. Natuerlich erkenne ich das Nummernschild nicht. Der Fahrer hat es geschwaerzt. Ist ja nicht doof.
In Trance schwebe ich zurueck. Nieselregen setzt ein. Es ist wie nach einem Unfall, wenn sich der Fahrer dem liegenden Opfer naehert. Von aussen wirkt es wie im Schlaf. Doch dreht man den Kopf zur Seite, klafft eine entsetzliche Wunde.
Sie haben genommen, was sie finden konnten:
Meine Videokamera, die (alte) Ixus 50, mein Rucksack, das Wacom-Tablet, mein GPS, fast alle Kabel und Ladegeraete.
Immerhin: Die meisten Kassetten sind noch da. Doch mein (teures) Stativ fehlt und meine Fototasche mit den Ersatzkarten und dem Teleobjektiv: Weg. Die Seitenablage mit den Filtern: Ausgeraeumt. Gut, die waren ohnehin verkratzt.
Und dann der groesste Schock: Meine Spiegelreflexkamera – das teuerste Geraet auf der Reise und das einzige, was wirklich mein Herz killt. Ich taste neben der Matratze: Nichts. Hinter dem Fahrersitz: Auch nichts. Ich mag nur noch LAUT SCHREIEN!
Doch, halt! Meine Hand greift unter dem Sitz…
Ich habe sie gefunden! Immerhin etwas, das bleibt.
Und auch meine Festplatten mit den Sicherheitskopien: Vergraben unter den Decken und alle noch da. Die Ixus 70, die ich mir in Thailand gekauft habe: Die war noch in meiner Jackentasche.
Die Klamotten haben sie mir gelassen, genauso wie die beiden grossen Plastikkisten. Doch drin ist kaum etwas, was mir jetzt nuetzt: Pfannen, Toepfe, Teller, Spuelmittel und ein kaputtes Autoradio.
Und der Laptop? Muss ich Lenovo jetzt dafuer danken, dass sie mich so lange darauf warten lassen?
Der Regen trommelt immer staerker gegen die geborstene Scheibe und ich ziehe eine der leeren Plastiktueten aus dem heillosen Durcheinander. Mit weissem Gaffa tape ich sie auf das zersplitterte Glas. In meiner Vorstellung kommen sie jede Sekunden zurueck und nehmen mir auch das noch. Ich verriegle die Tuere. Wie sinnlos.
Als naechstes die Irrfahrt zur Polizeistation, und ich parke ganz nahe beim Eingang, damit nicht noch einer was klaut.
Kurz darauf sitze ich wieder im Auto, verwirrt, so dass ich nicht einmal mehr weiss, wie man heult. Ich ziehe das Handy aus der Tasche, rufe meinen besten Freund an. Er bekommt alles ab.
Er ist der Beste.
Spaeter jage mir Gespenster durch den Kopf: All die Ideen der letzten Wochen. Die Texte, Filme und Animationen, die ich mir ausgedacht hatte, aber ohne Rechner einfach nicht verwirklichen konnte. In manchen Faellen werde ich das leider auch nicht mehr koennen.
Die geheimnisvolle Nullarbornymphe, das Goldgraeberstaedtchen Kalgoorlie-Boulder und der saftig-gruene Suedwesten. Schon von dem vielen bereits Erlebten schaffte kaum etwas ins Blog. Mir fehlt der Laptop und die Geborgenheit des Autos, um meine spontanen Einfaelle in Geschichten zu packen. Doch mit der Geborgenheit ist jetzt ohnehin Schluss, und andere moegen in Internet-Cafes onanieren koennen, doch ich kann in der Oeffentlichkeit nicht einmal schreiben.
Die bluehenden Wildblumenfelder im Norden, die Sharkbay, der Kakadu-Nationalpark und die endlos lange Fahrt nach Broome: Die bereits gespendeten Strecken nach Darwin, die eigentlich noch vor mir liegen, ruecken in unerreichbare Ferne. Nach den Ereignissen der letzten Wochen ist Australien schon fast nicht mehr vorhanden.
Ich will auch ehrlich sein: Das Alleinereisen schlaucht. Haette ich Gesellschaft von einem Kopfverwandten, dann waere selbst der schlimmste Aerger noch zu ertragen. Doch so?
Die letzten sieben Monate waren eine aufregende Zeit, in der viel passiert ist und ich ein spannendes Land kennenlernen durfte. Von manchem hatte ich mir ein falsches Bild gemacht, und es ist gut, ueber diese Taeuchungen hinweg zu sein. Doch so manche Enttaeuschung gibt es nur gegen einen bitteren Preis.
Die Seifenblase, in der ich mich durch Oz bewegt habe, ist geplatzt. Von Australien, das ist sicher, habe ich genug gesehen.
Waehrend sich die Erkenntnis quaelend langsam auf mein Bewusstsein senkt, haemmert der Regen immer ruecksichtsloser gegen die Spinnweben im Glas. Im hysterischen Muster aus Scherben und Tropfen reflektieren die rot-blauen Lichter der Polizei, die soeben einen Raser gestellt hat. Direkt vor dem Revier – wenn das mal kein Fang ist.