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Meine Kanäle: Comedy & Cartoons / Reise-Abenteuer / Vlog-Schrott
8. Mai 2008 / 09:07
OZ (SA): May 8, 2008 / 16:37

Die neue Welt

Es hatte mich wirklich Überwindung gekostet.
So viele Stunden war ich durch unser Haus gescheucht, wie ein eingesperrtes Labortier auf der Suche nach dem Tunnelende. Raus auf den Gang, vorbei am Klavier, zum Arbeitszimmer meiner Mutter. Wieder zurück und zur Treppe. Runter. Rauf. Zurück in mein Zimmer. An den Schreibtisch. Hinsetzen. Aufstehen. Bad. Dachgeschoß. Wohnzimmer. Immer wieder auf Anfang.

Es war genug. Viel zu lange war ich hin und her gependelt auf meiner spurlosen Autobahn: Ich und mein Schwertransport mit Überbreite: Gegen den Verkehr.

Ich weiß nicht genau, wann ich mich wiedergefunden habe: Am Schreibtisch sitzend, an dem ich so viel Zeit über Schulaufgaben brütend den großen Sinn suchte, und doch nichts anderes darin hatte als ihn.
Zeit verliert ihre Richtung, wenn man zu viel von ihr hat. Ich hatte so viel, es hätte für eine weitere Dimension gereicht.

In der Schublade lagen die Druckbleistifte ganz vorne – der Rote war der, mit dem ich meistens begann: Noname, 0.5mm, HB.
Damals habe ich nicht viel gezeichnet – jedenfalls nicht, wie ich heute hätte wollen. Da war Angst, mehr zu zeigen, als da war. Nein, da war Angst, dass mehr da war, als ich zeigen wollte. Es war auf allen Seiten zu viel für das kleine Universum, dass ich in meinem Kopf gebaut hatte. Über die Grenzen an seinem Scheibenrand war ich ja schon lange hinaus. Vielleicht war es Zeit, dass die Scheibe zum Ball wurde. Da war sie nun, meine weitere Dimension.

Vor mir der Garderobenspiegel, den ich meiner Mutter abgeluxt hatte: Er stand angelehnt am Fenstersims und weiter dahinter saß dieser schmale Junge mit blonden Strähnen und feuchten Augen. Er war 18 Jahre und seit einiger Zeit trieb ein weher Muskel noch mehr Blut durch seinen unfertigen Körper als üblich.
Lauernd saß er hinter der silbernen Scheibe, fest an seinem Zeichenstift geklammert. Wer als erster blinzelt, legt los.
Vielleicht konnte ich ihn nicht zeichnen. Aber mich – für einen Anfang.

Das war am 8. Mai 1995.
Wenig später bin ich zu meiner Mutter und habe ihr alles erzählt. Naja, das meiste.

Coming Out Day (8. Mai 1995)

 
 


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