OZ (SA): April 19, 2008 / 21:24
AUSTRALIEN-REISE
Hürden im Abendritt
Das größte Ärgernis, das sich abends in den Weg stellt, sobald ich mit meinem Pferd Charlie einsame Melodien pfeifend in den Sonnenuntergang reite, das ist der lodernde Glutball, der sich vor uns auf das Ende der Straße gesetzt hat.
Das darf man nicht falsch verstehen – wir freuen uns im Land des Regens und der Frostgrade bei Nacht* durchaus über sattes Abendrot, kreischende Kakaduschwärme über orangeberandete Wolkenauen, silbernfarbene Kondensstreifen, die im roten Staub am Horizont entschwinden, und natürlich sie: Die immerwährende Kraftspenderin, die seit Äonen die Erde wärmt und anzieht, wie Hundekot die Fliege.
Und trotzdem ist es ärgerlich, vielleicht sogar gefährlich, dass sie nun um halb Sechs südaustralischer Zeit genau frontal gegen meine Scheibe strahlt und dort getrocknete Mückenkadaver mit gelblichen Abendlicht illuminiert. Oder auf die Spurrillen, welche Scheibenwischblätter in jahrelanger Fleißarbeit durch das gefestigte Glas gegraben haben, und die nun den purpurnen Ball verklumpen und zerfasern, bis nur noch ein sichelförmiger Doppelschweif seine klare, kreisrunde Form maskiert.
Und dann sind da auch noch die neugierigen Magpies, die im Abendlicht den Straßenrand von herumkrabbelnden Maden und Insekten säubern, dabei verträumt den herannahenden weißen Sonnen entgegenblinzeln und dann im rechten Moment ihre schwarz-weißen Schwingen auszubreiten, um vor den beiden Sonnen und dem daran montierten Auto ein waghalsiges Ausweichmaneuver zu absolvieren. An die hoppelnde Gefahr aus dem Busch mag man sich nach 4 Wochen Tasmanien gewöhnt haben, doch die flatternden Kamikazeschwadronen, die meist von schräg oben kommen und immer nur zur gegenüberliegender Straßenseite hin flüchten, hieven den Gefahrenraum Straße in die Dritte Dimension.
Die Kängurus und Emus, die uns vergleichsweise selten den Weg kreuzen, wären dagegen schwer zu übersehen – was aufgrund der schieren Maße, die so ein 2-Meter-Tier auf die Waage bringt, ein Segen ist. Aber auch diese ziehen es vor, sich herannahenden Fahrzeugen möglichst im Gegenlicht zu nähern und den Moment bis zur Flucht möglichst weit hinauszuzögern. Größere Pferde als Charlie haben bei solchen Begegnungen schon Hufe und Sattel verloren.
Inzwischen ist es Nacht – die Sonne vom glitzernden Meeresungeheuern verschluckt. Blutgetränkte Meere blieben zurück.
Wir haben die Wildnis hinter uns gelassen und Robe angesteuert. Robe, das Mekka der Festivalnomaden im Staat South Australia – nur eben im November, nicht jetzt.
Charlie und ich sitzen an der Wasserfront. Ich pfeife ein einsames Lied auf der Mundharmonika, und Charlie, mein Pferd summt zufrieden dazu. Machen wir unser Festival eben selbst.
* Das darf man auch nicht falsch verstehen. Natürlich ist Australien nach wie vor das trockenste und heißeste Land der Welt. Nur eben nicht dort, wo ich mich gerade aufhalte.