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Meine Kanäle: Comedy & Cartoons / Reise-Abenteuer / Vlog-Schrott
3. März 2008 / 15:52
OZ (Ost): March 4, 2008 / 01:52

AUSTRALIEN-REISE

Abhängen auf dem Land: Hobart

Bar-Hocker

Es sind zweifellos die Beats der Großstädte, die den Rythmus vorgeben – auch wenn sie in Hobart vermutlich etwas langsamer schlagen, als woanders.

Am Samstag abend begegne ich Travel Mates Jess und Carl aus Sydney. Sie ist vierzig, ein Sohn, geschieden. Carl, Singel, ein knappes Jahr jünger als ich, wirkt von seiner Art wie sechzehn und sieht aus wie Ende dreißig. Seit zwei Tagen sind sie in der Stadt und auf der Suche nach dem ultimativen Hangover. Sie haben die kleine Bar zur selben Zeit entdeckt wie ich und am Eingang den Eintritt für mich (3 Dollar) einfach mitbezahlt. Ein unverhältnismäßiger Treppenaufgang hinter der Kasse führt hinauf in eine schmale Turnhalle, die aussieht, wie in den Neunzigern dekoriert und dann zur Reifung in den Keller gestellt. Im Zimmer nebenan räkeln sich balzende Lesben auf einem Billardtisch und eine Nebelmaschine schickt verruchte Atmosphäre in die Luft. Während bunte Lichter schrill über die halbseitig umspiegelte Tanzfläche flitzen, malträtiert ein scheppernder Bass die Fensterfront. Eine Seifenblasenmaschine und selbstgebastelte Girlanden machen den Schulball-Charme komplett.
Carl ist völlig aufgedreht und zappelt auf seinem Barhocker wie ein ADS-Patient nach 6 Tassen Kaffee. Jess findet alles komisch was Carl sagt und zaubert mit ihrer jovialen Art urbanes Flair aus der Umhängetasche, wie manche Berufssparten aus Hüten Kaninchen.
Die Trends der Großsstädte haben vor dem Süden Tasmaniens keinen Halt gemacht: Auf der schwarzen Ledercouch sitzen Emo-Jungs und ritzen mit Strohhalmen an ihren bunten Tatoos. Der DJ hat die Musikauswahl im Griff und findet, dass Mädchen auch mal Spaß haben sollten. Ich bestelle einen Caipirinha, doch der Barkeeper fragt nur: „What?“

* Ich warne vor falschen Schlüssen. Die Feiern und Bälle in meiner Schule waren die coolsten, die ich Zeit meines Lebens erlebt habe.

So bleibe ich bei Carl und Jess, chit-chatting, ohne Ahnung, ob Zeit vergeht, nippe an meiner Cola und merke mir wunderbare Anekdoten. Der Abend hat allerdings ein Problem: Wir sind, neben Emos und Lesben, die einzigen Gäste und der Wirt überlegt sich, ob er den Laden lieber dicht machen möchte. Es ist nicht so, dass wir uns den falschen Tag aussucht haben, aber das ist eben Hobart am Samstag abend: Theoretisch geöffnet bis „late night“, aber anders als in Sydney und Melbourne meint der Ausdruck eine unbestimmte Zeit vor Mitternacht.
Nach einigem Für und Wider ziehen wir schließlich los, auf die Suche nach Alternativen.
Das Labyrinth aus Einbahnstraßen, das sich spiralförmig von der zentralen Elizabeth Mall aus um die Innenstadt legt, wirkt wie ausgestorben. Eine Straßenpizzeria und ein Liquor-Store sind die einzigen Hinweise auf Leben – wo die Menschen hier das Wochenende feiern? Uns bleibt es verborgen.
Jess und Carl, beide an den 24/7-Rummel der Großstädte des Festlands gewöhnt, sind schockiert, und zum ersten Mal am Abend kann ich sie wirklich verstehen. Wir wandern noch eine Weile durch die naßkalten Straßen und verabschieden uns schließlich, rechtzeitig zum einsetzenden Frost, kurz nach Mitternacht.

Einsame Bars

Mein Auto Charlie habe ich auf einer leichten Anhöhe in der Innenstadt geparkt. Die letzten Tage an der Ostküste waren nicht gut zu ihm: Den Zigarettenanzünder, meine mobile Stromressource, hat es unter der Last von Laptop, Kühlbox und Navigationsgerät zerlegt, die Handbremse schwächelt, und der Schalter für die Scheinwerfer hat meine grobmotorischen Anforderungen nicht unbeschadet überstanden. Eine Ford-Werkstatt repariert den Schaden zwar umgehend, doch die Wagenkosten steigen natürlich weiter. Um das finanzielle Loch in der Reisekasse zumindest ein wenig zu stopfen, habe ich mich für ein paar Tage in einer Jugendherberge mit vollkommen überteuertem Internet-Anschluss eingebucht, um eine Webseite für ein deutsches Unternehmen zu programmieren – momentan mein einzige Einnahmequelle, doch viel Geld gibt es dafür – relativ gesehen – nicht.

Cat and Fiddle Square in Hobart

Trotz der Arbeit bleibt natürlich noch Gelegenheit, die Highlights von Hobart auch tagsüber zu erkunden.
Die Innenstadt ist ungewöhnlich, und das liegt vor allem an der seltsamen Mischung aus Wolkenkratzern, Outdoor-, Musikinstrumente- und Klamottenläden und weiteren Touristenfallen, die das Einkaufs-Caret rund um die zentrale Elizabeth Mall säumen.
Mit besonderem Charme, wenn auch nicht ganz auf dem glitzernden Niveau des Queen Victoria Building in Sydney, überraschen die lokalen Mall Highlights, wie zum Beispiel das große „Cat and Fiddle“ Glockenspiel, das zu jeder vollen Stunde eine Vielzahl an Schaulustigen zieht und diese regelmäßig ehrfürchtig, um nicht zu sagen perplex (ob der grandiosen Komposition) mit offenen Mündern zurücklässt. Das Video dazu (nicht von mir) kann das Live-Erlebnis natürlich kaum ersetzen.


DirectFiddle

In der Umgebung des beschaulichen Salamanca Place und Battery Point stapeln sich Sandstein-farbene Cafés und kleinere Geschäfte und ein großer Flohmarkt verwandelt den Bezirk an jedem Samstag in eine langgestreckte Fußgängerzone, in der Honigbauern genauso ihre Waben feilbieten, wie Stofftiernäher die neueste Kollektion Plüsch-Devils oder die politischen Grünen ihre Message von einem Baum-freundlichen Tasmanien.

Salamanca Market

Im Hafen von Hobart, in dem Schiffe zum Festland, nach Macquarie Island oder in die Antarktis ablegen, parken je ein Schiff der Marine und von Greenpeace auf High Noon Distanz.
Das Wetter und die Temperaturen schwanken enorm, beeinflusst vom Ozonloch und dem Klima der Antarktis: Während die Sonne tagsüber meine Schokomuffins unbarmherzig zum Schmelzen und Coladosen zum Kochen bringt, fallen die Temperaturen nachts auf knisternde 15 Grad. In der Nähe des Hafens oder auf den vielen Hügeln weht dagegen fast immer ein frostiger Wind. Einen Sonnenbrand konnte ich bisher aber erfolgreich verhindern – und das obwohl SPF 30 hier als relativ schwacher Schutz gilt.

Auf der Spitze von Mount Wellington

Richtig extrem wird es bei einem Tagesausflug auf Mount Wellington – der Berg, dessen ikonografische Silhouette bedrohlich über der Skyline von Hobart trohnt. „Spektakuläre Aussichten“ verspricht mein Reiseführer von der 1200m hohen Spitze, doch als ich nach halbstündiger Fahrt endlich ankomme, reicht der Blick nicht einmal hundert Meter weit – so dicht hat sich die Wolkendecke um den Berggipfel gelegt. Als sei dies nicht genug, jagen arktische Winde einen Gefrierschock nach dem nächsten in meine Finger.
Weil das Wetter auch keine Anstalten macht, sich über die nächsten Stunden zu ändern, lege ich den Rückwärtsgang ein und kehre am nächsten Tag zurück. Und dieses Mal klappt die Sache mit der Aussicht dann doch.

Hobart von Mount Wellington aus gesehen

Einige Tage später lasse ich Hobart vorübergehend hinter mir, um endlich die südlichste Spitze des Landes zu erkunden. Mit noch kälteren Temperaturen hatte ich dabei auch schon gerechnet – nicht aber, dass mein Weg direkt an der Australian Antarctic Division in Kingston vorbeiführt, von der aus alle wissenschaftlichen Expeditionen Australiens in die Antarktis geplant werden. Ein paar Stunden lang erkunde ich das Besucherzentrum und löchere Angestellte mit Fragen, wie man am Besten kostenlosgünstig ins Ewige Eis kommt, ob es Sponsoring für Künstler gibt, und ob Digitalkameras die zähen Temperaturen dort überhaupt überleben (selten). Das Zentrum ist nicht besonders groß, bietet aber sehr detaillierte Modelle der australischen Antarktis-Stationen, interessante Informationen für Reisende und Forschende und eine umfangreiche Sammlungen an Büchern, Bildbänden, historischen Schlitten und ausgestopften Pinguinen (mit abnehmbaren Flügeln, die man streicheln kann).

Australian Antarctic Division Kingston

Erstaunlich detailliertes Modell der Mawson Station in der Antarktis

Am Abend erreiche ich schließlich das Südostkap – d.h. zumindest den südlichsten Punkt, den man mit einem Auto erreichen kann, und das auch nur über kilometerlange, holprige Staub- und Steinstraßen**. Zur richtigen Belastungsprobe für Charlies Reifen wird die Fahrt, als sich der Schotterweg in einen Steinbruch verwandelt: Kopfgroße, spitze Steine führen endlos weit in bedenklich unbewohnte Landstrich. Irgendwann stelle ich fest, wieso mich mein Navigation ausgerechnet diesen Weg nehmen ließ: In den Einstellungen habe ich ihm explizit unbefestigte Strassen verboten. Da diese Straße allerdings anscheinend nicht als solche gekennzeichnet war und der offizielle Weg nur über einen (vergleichsweise moderaten) Kiesel-Weg führt, habe ich mir damit wohl selbst ein Bein gestellt.

** Interessante Einblicke bietet das englische Wort für diese Straßen: „Gravel Road“. Mehr noch als dem deutschen „Schotterweg“, wohnt „Gravel Road“ der leidende Impetus inne, der auch ein berühmtes Gedicht (Krawehl Krawehl) von Vicco von Bülow auszeichnet. Nicht, dass beides wirklich etwas miteinander zu tun hätte. Die Assoziation finde ich einfach nur sehr ulkig.

Abendessen im Auto

Den Rest der Strecke schaffe ich aber dennoch, und erreiche bei einbrechender Dunkelheit einen Camping-Platz, auf dem eine Mädchenschulklasse aus Hobart und ihre vier Betreuer ein kleines Lagerfeuer errichtet haben. Während mich die Gruppe willkommen heißt und Tee und selbstgebackene Pfannkuchen anbietet, holen die Betreuer ihre Gitarren heraus. Natürlich haben sie genau die Lieder parat, die man in so einer Situation hören möchte, auch wenn man sie zu jeder anderen Zeit milde belächelt.
Es ist verdammt kalt im Süden, und wir, die Mädchen, die vier Betreuer und ich, sitzen gemeinsam einsam am Südzipfel von Australien und wärmen uns an der brutzelnden Glut des Lagerfeuers.
Die Milchstraße scheint mal wieder klar durchs struppige Blätterdach.

Wald

 
 


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