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Meine Kanäle: Comedy & Cartoons / Reise-Abenteuer / Vlog-Schrott
19. Februar 2008 / 05:36
OZ (Ost): February 19, 2008 / 15:36

AUSTRALIEN-REISE

Auf der Milchstraße ab in den Süden

Sternenhimmel Milchstraße

Weit aus der Ferne brausen die ersten Geräusche heran und verweilen für einen kurzen Moment in sanften, hellen Frequenzen. Ein dunkler Schatten flieht aus der gleichen Richtung und huscht nach links an mir vorbei: Er schreit mit dem Laut einer Möve. Ich schließe die Augen.
Wieder nimmt das Geräusch an Fahrt auf. Ungezähmt fauchend jagt es entlang einer unsichtbaren Linie auf meine Füße zu, die flach ausgestreckt im kühlen Sand betten. Es verteilt sich mit krachendem Tosen nach allen Seiten, um mich zu umzingeln und sich selbst, einer Sinfonie aus Millionen Partikeln Wasser und Sand, den wohlverdienten Beifall zu spenden.

Im Schwarz der Nacht macht es kaum einen Unterschied, ob die Augen geschlossen sind oder nicht. Doch wenn sie zu sind, ist das Denken einfacher und die Welt sehr nah. Die Sinne vertauschen sich, das Meer riecht in allen Farben, der Wind raschelt durch das Gras und streichelt den feinen Sand, der durch meine unterkühlten Finger rinnt, und pfeift dabei ein Lied von schläfriger Einsamkeit.

Ich stelle mir vor, was ich einige Stunden zuvor hier gesehen habe: Den hellweißen Sand, die vom Wind verzerrten Sträucher, deren vielfältigen Formationen sich an keiner Stelle zu wiederholen scheinen. Scharrende Wallabies und Känguruhs, die jenseits der Düne nach Futterresten der anderen Camper fahnden. Der bizarr ausgeklappte Winnebago, den ein tasmanisches Ehepaar in die Lichtung neben Charlie, mein Auto, geparkt hat, und die zwei, drei verstreuten Zelte auf dem dünn bewaldeten Platz. Im Norden Tasmaniens sind nur wenige Touristen unterwegs. Er ist der Geheimtipp unter den Reisenden und betört mit seiner unberührten Natur und den weißesten Stränden des Landes. An diesem Abend gehört einer davon nur mir ganz alleine.

Die Nacht ist wie gewohnt kalt und windig, doch das Wageninnere bietet Schutz und kuschelige Gemütlichkeit. Eingekauert in meinen Schlafsack sehe ich durch das Heckfenster hinauf zum schmalen Band der Milchstraße, das hier viel heller leuchtet als daheim. Während der Himmel sich langsam weiterdreht und der Mond durch die dürren Äste steigt, verliere ich mich in Träumen von kleinen Autos, die zu den Sternen fahren, und der Wind und die Wellen rücken für ein paar Stunden in weite Ferne.

Honeycomb

Das scharrende Geräusch am nächsten Morgen kommt mir bekannt vor. Während ich mir, die Füße zur Fahrertüre ausgestreckt, Honig und Fladenbrot auf dem Beifahrersitz zubereite, hat sich draußen ein junges Wallabie vis-a-vis Charlie in die Morgensonne gesetzt und schiebt nun unschuldig blinzelnd seine Nase durch den staubigen Boden.
Auffällig beiläufig robbt es meterweise näher, bis es nur noch ein kleiner Sprung von mir und meinen Broten trennt. Als ihm klar wird, dass seine „Deckung“ aufgeflogen ist, reckt es entschuldigend seine pulsierenden Nüstern in die Luft. Sekunden später taucht es seinen Kopf in die Plastiktüte, in der ich meinen Müll verwahre. Mit gezielten Streicheleinheiten lässt es sich zunächst auf Abstand halten, doch schon wenig später startet es den nächsten Versuch und fordert meine Gutmütigkeit heraus, indem es beinahe alle Register aus der Lektion „niedlich gucken“ zieht.
Es hilft nichts, menschliches Essen kann für diese Tiere sehr gefährlich sein und zu Krankheit führen oder sogar zum Tod. Außerdem bin ich selbst hungrig und nicht willens die leckere Honigwabe mit dahergelaufenen Schmarotzern zu teilen. Ganz gleich, wie süß sie gucken.

Der sumpfige Morast von Tamar

Steg zur Tamarinsel

Gegen Elf packe ich meine Sachen und fahre los, mit der Motorhaube immer Richtung Süden. Nach einer dreiviertel Stunde Fahrt durch sprühenden Nieselregeln erreiche ich die Tamar-Insel, ein kleines Sumpf-Paradies für Vögel und Schnabeltiere aller Art. Da der Regen scheinbar an der letzten Abzweigung in die andere Richtung weitergezogen ist, nutze ich die Gelegenheit zu einem Spaziergang durch das kleine Habitat. Die Sonne blitzt munter durch die wattige Wokendecke und leuchtet mir den Weg auf dem langen Steg durch Schilf und Gräser bis weit auf das ausgetrocknete Gewässer hinaus. Durch den Morast watscheln schwarze Varianten Schwan-artiger Tiere und auch manche Krabbenart stakst seitwärts durch den Schlamm. Ich wundere mich über die Wasserarmut, bis ich bemerke, wie sich einige hundert Meter sumpfeinwärts ein feines Rinnsal den Weg durch die erdige Landschaft bahnt. Tatsächlich scheint es so, als hole sich das Wasser just die Gegend Schritt für Schritt zurück. In seinem Schlepptau zieht es eine Hundertschaft von Vögeln mit sich und erreicht sehr schnell – innerhalb Minuten – den Steg, auf dem ich stehe. In kürzester Zeit tönt, pfeift und kreischt es in einem Umkreis von 360° um mich herum, und ich ahne, woher die Inspiration von Alfred Hitchkocks Horrorfiktionen stammen mögen.

Cataract Gorge bei Launceston

Wenige Kilometer weiter im Süden liegt Launceston, ein Ort, der auf touristischen Karten nicht nur verzeichnet ist, weil er die zweitgrößte Stadt Tasmaniens ist. Er ist außerdem Sitz einer der bezauberndsten innerstädtischen Natur-Attraktionen, und die heißt Cataract Gorge. Ich erkenne die Gegend sofort, denn vor einigen Monaten hatte einer meiner abonnierten YouTuber in einem kleinen Video über das Phänomen von Bewohnern und Reisenden innerhalb der YouTube-Community philosophiert und dies mit dem Leben und Reisen in der realen Welt verglichen. Aufgenommen hat Blunty3000 das Video vor der grandiosen Kulisse des Cataract Gorge. Die Schlucht mit ihrem reißenden Wildbach in der Mitte, zieht sich über mehrere hundert Meter durch steile, zerklüfftete Felsen hindurch und endet unterhalb einer weißen Brücke im First Basin, einem kühlen Teich, in dessem tiefen Wasser die Bewohner (und Touristen) von Launceston den Stress der Woche fortbaden. Wem der fast kreisrunde Tümpel zu düster ist, begibt sich einfach ins strahlend blaue Schwimmbecken nebenan, das die Stadtväter – sei es Sorge um Nichtschwimmer oder doch nur Dekadenz? – 50 Meter neben den Teich gebaut haben.
Ich beschließe, über die Nacht auf dem nahen Parkplatz zu bleiben, filme in der Dunkelheit ein paar randalierende Possums und starte den nächsten Tag mit einem männlichen beherzten Sprung ins kühle Nass, ehe es gegen Mittag mit dem Auto weitergeht.

Flying Manniac

Die Ostküste und der Süden Tasmaniens sind touristisch gut erschlossen: Die Straßen sind besser als an vielen Stellen im Inland, die Wege kürzer, die Ortschaften größer und die Preise die höchsten. Entlang einer Perlenschnur reihen sich die touristisch-ökonomisch wichtigsten Stationen: Von der Wineglass Bay im Freycinet Nationalpark über Maria Island, der Tasman Peninsula mit dem berüchtigten Strafgefangenenlager Port Arthur und ganz im Süden Bruny Island. Ausgangsstation für die meisten Ausflüge in der Region ist Hobart, die Hauptstadt des australischen Bundesstaat, oder einer der vielen Vororte, die oft selbst als eigenständige Attraktion gelten, wie das historischen Richmond, Sorell, Kingston oder Hounville. Auf meinem Weg nach Süden kann ich natürlich nicht alle Stationen mitnehmen. Maria Island ist die erste, die meinem knappen Zeitplan zum Opfer fällt, und das auch nur, weil die Insel autofrei ist, und in der Kennenlernphase, in der Charlie und ich uns befinden, kann ich mein Auto einfach noch nicht alleine lassen. Ich habe schließlich eine Verantwortung zu tragen.

Wineglass Bay

Wineglass Bay

The Hazards

An der Wineglass-Bay treffe ich zum ersten Mal in Tassie (der offizielle Spitzname Tasmaniens) auf eine nennenswerte Anzahl Touristen – streckenweise sind es so viele, dass es auf dem steilen Wanderweg zu gefährlichen Überholmaneuvern kommt, und meistens liegt das an Holländern. Der Ausblick auf die Bay, die angeblich wie ein Weinglas geformt sein soll, mich aber mehr an einen übergroßen Pac-Man erinnert, entschädigt für den beschwerlichen Aufstieg, auch wenn das Wetter eher mau ist und das Gedränge die Erlebnisfreude trübt. Je näher ich aber dem Strand komme, umso mehr verteilen sich die Leute und schließlich erscheint sogar die Sonne und gibt den Blick frei auf das schier endlos geschwungene Band aus weißem Sand und türkis-farbenen Wasser.
Den Abend verbringe ich mit zwei slowakischen Reisenden, einem Jungen und einem Mädchen, in Coles Bay, einem Fischerdorf, wenige Kilometer von der Pacman-Bucht entfernt. Beide sind Arbeitskollegen aus Sydney und reisen für eine Woche durch Tasmanien. Sie beeilen sich, mir zu versichern, dass sie kein Paar sind, doch die Mechanismen zwischen ihnen sprechen eine andere Sprache.
Gleich zur Begrüßung bieten sie mir Raki-ähnlichen Schnapps an, den einer der beiden aus der Heimat mitgebracht hat. Als ich nach dem ersten Schluck schon kapitulieren möchte, handele ich mir stürmischen Protest ein, denn, was man einmal begonnen habe, müsse man auch zu Ende führen. Ich bleibe standhaft, doch für die beiden ist das Grund genug, mich den ganzen Abend damit aufzuziehen, dass ich kein richtiger Deutscher sein könne, wenn ich nicht einmal Alkohol vertrage.

Kerkerzelle im Richmond Gaol

Vergnügungspark Port Arthur

In Richmond und Port Arthur steckt der ganze historische Stolz des jungen Landes, denn dort präsentieren sich die ältesten Gebäude, Brücken und Straßen der jüngeren Geschichte Australiens. Aber auch über die Motivation der ersten europäischen Siedler und das Verhältnis ihrer Nachkommen zu ihnen, erzählen die Gebäude eine ganze Menge. Besonders Port Arthur steht im tragischen Ruf, eine der grausamsten Strafkolonien des britischen Imperiums gewesen zu sein, und die Australier feiern dies mit Disney-artigen Grusel-Inszenierungen, die der Traurigkeit, die den Ruinen der alten Gefängnisse innewohnen, nicht einmal im Ansatz gerecht werden. Der Happy-Penitentiary-Ride beginnt in Port Arthur mit der Zuweisung von Besuchern zu früheren Gefängnis-Insassen per Spielkarte. In einem Labyrinth aus nachgebauten Gerichts-Szenen mit sprechenden Puppen und Folterinstrumenten zum selbst-mal-ausprobieren, kann man sich in die nostalgische Zeit zurückversetzen lassen, in der Gefängnisinsassen sich noch mit Schaufel und Eimer aus dem Gefängnis freigebuddelt haben, und in der scharf abgerichtete Hunde die tollkühn Getürmten entweder selbst halb zerfleischten oder diese Aufgabe menschlichen Folterspezialisten überließen. Alles natürlich unter Aufsicht oder Anleitung von sogenannten Ärzten und, unvermeidbar, der Kirche.

Zerstörtes Gefängnis in Port Arthur

Kirche für Isolationshäftlinge in Port Arthur

Es gehört zur sprachlichen Ironie, dass ausgerechnet dort, wo das Leid der Vergangenheit am stärksten weilt, der Teufel am besten gedeiht. Der tasmanische Teufel, um genau zu sein. Auf der Tasman Peninsula hat er ein sicheres Zuhause gefunden. Wie vor 200 Jahren bei den Strafgefangenen schützt die außergewöhnliche Lage der Region diese vor ungewollten Ein- oder Ausbrechern. Getrennt durch einen Graben und eine Tiergatter-Brücke, haben Teufel von außen keine Chance auf die Halbinsel zu gelangen, und das rettet denen drinnen vermutlich das Leben. Seit Jahren kämpfen Umweltschutzorganisationen gegen eine Krebs-artige Seuche, die im restlichen Land fast alle Teufel infiziert hat, und die in der Regel nach sechs Monaten zum Tod führt. Die Krankheit ziehen sich die rauflustigen Tiere beim Futterkampf mit ihren Artgenossen zu. Zunächst entwickeln sich kleine Knoten im Verletzungsbereich. Schließlich wachsen und wuchern sie auf vielfache Größe, bis das Tier qualvoll verendet. Noch konnte keine genaue Ursache festgestellt werden und deshalb natürlich auch keine Behandlungsmethode. Auch ist noch nicht klar, ob die Krankheit eventuell auf andere Tiere oder den Menschen überspringen kann.

Teufel findet man praktisch überall auf der Halbinsel, und da sie nicht besonders schnell rennen können und auch ansonsten eher klein sind, ernähren sie sich meistens von dem, was andere Tiere übrig lassen. Oder auch von den Tieren selbst, wenn diese tot am Straßenrand liegen. Oder auch mal von einem anderen Teufel. Zweimal habe ich bisher die Bekanntschaft mit ihnen in der Dunkelheit gemacht, doch für Fotos war das Licht nie ausreichend. In einem kleinem Teufel-Reservat kann man sie aber auch bei Tag besuchen. Wenn man sie so ansieht, mit ihren feuchten Nasen und treudoofem Blick, mag man gar nicht glauben, dass die knuffigen Tiere auch gerne mal einen ihrer toten Artgenossen verspeisen. Eigentlich mag man nur beherzt zugreifen und ihnen über den Kopf wuscheln. Wer zu viele Finger übrig hat, kann das auch gerne tun, denn der Biß eines Teufels gehört zu den kräftigsten, die man im Tierreich finden kann.

Ein nasser tasmanischer Teufel

Zwei hungrige Teufel

Auch der Thylacine (tasmanischer Tiger), eine außergewöhnlich schöne Raubtier-Mischung aus Dingo (eine australische Hundeart) und Känguruh mit den Streifen eines Tigers war von einer ähnlichen Krankheit befallen, ehe er, vermutlich Mitte des letzten Jahrhunderts und unterstützt durch Jagd und Revierzerstörung von den britischen Siedlern ausgerottet wurde. Manche Menschen glauben, dass der Thylacine in den dichten Wäldern Tasmaniens überlebt habe und regelmäßige Berichte von Sichtungen unterstützen diese Hoffnung. Doch bisher ist es niemandem gelungen, einen Beweis dafür zu liefern, und so bleibt nur die vage Hoffnung, ein paar präparierte Felle in Museen und ein einzelner Embryo, konserviert in Alcohol.
Die Nachricht von einem Klonprojekt nährt seit einigen Jahren nun die Hoffnung auf eine Wiedersehen, nicht nur mit dem Tiger, sondern auch mit anderen ausgerotteten Tierarten, wie dem Dodo. Kritiker weisen jedoch darauf hin, dass das Geld für solche Projekte vielleicht lieber in die Erhaltung noch lebender Tierarten gesteckt werden sollte, wie den auf dem australischen Festland gefährdeten Wombatarten, Krokodilen oder Albatrossen. Doch wer weiß, vielleicht sind es ausgerechnet diese Forschungsprojekte, die uns eines Tages die Sünden unserer Vergangenheit vergeben werden, oder die, die wir erst noch begehen. Nicht alles, was nach Science Fiction klingt, dient nur zu unserer Unterhaltung – manches davon bietet vielleicht auch den Schlüssel zur Erhaltung unserer eigenen Art. (Muahaha)

Ein Thylacine im Londoner Zoo

Meine Reise in den Süden endet mit einem etwas längeren Stopp in Hobart, der Hauptstadt Tasmaniens mit rund 200.000 Einwohnern. Diese Woche werde ich vor allem damit zubringen, kleine Probleme mit dem Auto in den Griff zu bekommen, dringend notwendige Erledigungen und Einkäufe zu verrichten, und mich vor allem mit einem zu beschäftigen: Der Beschaffung von Geld. Denn ohne eine baldige Aufbesserung meines Geldvorrats werden die kommenden Monate kein Spaziergang mit Fruchteis, sondern ein staubiger langer Trek quer durchs Land mit Übernachtungen unter freiem Himmel, gelegentlichem Baden in Tümpeln am Straßenrand und betteln um ein Stückchen Brot und eine Dose Cola in den Fußgängerzonen der großen Städte. Abenteuer pur.
Wobei, war das nicht genau das, was ich wollte? Vielleicht sollte ich mir eine Gitarre besorgen und schon mal anfangen zu üben.

 
 


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