OZ (Ost): January 17, 2008 / 17:36
AUSTRALIEN-REISE
Australien – Die große Freiheit
Ich stehe in der Tunnelausfahrt, vor mir die große Freiheit, hinter mir eine hupende Schlange ungeduldiger Autofahrer, die nach einem langen Arbeitstag nach Hause möchte. Nacheinander setzen sie den Blinker und biegen in die zweite Spur. Der erste grinst, als er vorbeifährt, mir freundlich in die Fahrerkabine, der zweite zeigt mir den Scheibenwischer, und der dritte konzentriert sich auf den Abstand zwischen Fahrbahnwand und meinem Auto.
Ich habe ein Auto.
Es ist mein erstes Auto, mein erstes eigenes Auto.
Ford Falcon, Baujahr 1996, 285.000 Kilometer, 160PS, Automatikschaltung, Silber-blau, mit Tempomat. Die jährliche Registrierung (Rego) ist noch bis Juli gültig. Es ist nicht ungewöhnlich hübsch, es ist einfach okay. Ich bin kein Auto-Narr und meine Ansprüche sind – vergleichsweise – bescheiden: Es soll mich einmal um den Kontinent bringen, und zwar stressfrei. Gekauft habe ich es am fünften Tag nach Beginn meiner Suche in Sydneys Kings Cross Car Market von einem deutschen Pärchen.
Die beiden waren seit zwei Monaten unterwegs – die meiste Zeit davon in Tasmanien – also dort, wo ich auch hin möchte. Sie waren sehr zufrieden mit dem Fahrzeug – keinerlei Problem, jedenfalls keine ernsten. Das Auto wird angeboten für 4500 Dollar – das sind 2800 Euro. Es knirscht – aber das sind nur meine Zähne. Obwohl relativ teuer, macht der Wagen einen guten Eindruck. Das Innere wirkt im Vergleich zu den anderen Fahrzeugen aufgeräumt und sauber – und der Tempomat… ja der Tempomat! Der zieht als Argument natürlich auch. Ich lasse mich ein auf eine Probefahrt und wenige Minuten später bin ich mit dem Besitzer auf dem Weg Richtung Bondi Beach. Fast geräuschlos gleiten wir dahin – der große Motor macht das Fahren angenehm, und nur die umgedrehte Anordnung von Lenkrad und Instrumenten bereitet mir Anfangsschwierigkeiten: Setze ich den Blinker, startet der Scheibenwischer und umgekehrt. Das Fahren im Linksverkehr dagegen ist sorgenfrei: Das habe ich schon vor einigen Jahren in England geübt.
Okay, es gibt ein paar Kleinigkeiten: Der Wagen hat eine frische Inspektion gerade hinter sich und einige Kleinigkeiten wurden angemerkt. Die wichtigste: Der Auspuff leckt. Reparaturkosten, sagt der Besitzer: Vielleicht ein paar hundert Dollar – aber wirklich nötig sei das gar nicht. Fast jedes Auto leckt und alle fahren ja trotzdem. Außerdem zu erledigen – wenn auch nicht dringend notwendig: Der Fahrerrückspiegel ist improvisiert und das Fenster an der Fahrertür klemmt.
Hm, wenn das alles ist…
Ein kurzer Check bei REVS (ein Finanz- und Verkehrsstrafencheck für Fahrzeuge), ob Hypotheken auf dem Fahrzeug lasten, nimmt mir den letzten Zweifel.
Wir unterhalten uns noch eine Weile und tauschen Tipps für die Fahrt und Tasmanien aus. Dann verhandeln wir den Preis – schnell sind wir bei 4000 Dollar – 2500 Euro. Gekauft.
Dann ein kleiner Dämpfer: EC-Karten haben in anderen Ländern ein maximales Abhebelimit von 1000 Euro innerhalb einer Woche. Sollte ich jetzt zwei Wochen warten müssen, bis ich das Geld zusammen habe? Mit einer einzelnen Karte komm ich also nicht weit. Gut, dass ich zwei weitere EC-Karten mit mir trage und dadurch den gesamten Betrag sofort zur Verfügung habe.
Die Überschreibung eines Fahrzeugs in New South Wales verläuft relativ einfach: Nach den Formalitäten im Car Market muss ich nur noch von der Aufsichtsbehörde RTA in den Papieren des Fahrzeugs als neuer Besitzer eingetragen werden. Dazu fahren der alte Besitzer und ich gemeinsam zur nächsten RTA-Stelle. Mit meinem Reisepass, einer Kreditkarte und einem Schreiben meines Hostels, auf dem meine vorläufige Adresse steht, erfülle ich die notwendige 100-Punkte-Identifizierung. Ein paar Unterschriften später ist das Auto meines.
Der bisherige Besitzer frägt noch einmal die nette Frau hinter dem RTA-Schalter, ob er von nun an nicht mehr verantwortlich sei für das Fahrzeug, und die Frau bejaht. „What a relief.“
Vor dem Gebäude verabschieden wir uns – ich frage noch, ob wir die Telefonnummern tauschen sollten, falls irgendetwas sei und er überlegt. Schliesslich grinst er mich an: „Äh, nein. Das ist nicht nötig.“ Ich erinnere ihn daran, dass es ja sein könnte, dass er oder seine Frau im Fahrzeug etwas vergessen haben, oder dass ich Rückfragen habe – dann gibt er mir widerwillig seine australische Mobilnummer. „Aber in einer Woche verlassen wir das Land ohnehin, dann ist die Nummer nicht mehr gültig…“
***
In den folgenden Tagen bereite ich das Fahrzeug auf die große Reise vor. Praktischerweise ist es schon mit einigen typischem Backpacker-Utensilien ausgestattet: Ich habe zwei Zelte, Kochgeschirr, einen kleinen Gaskocher, einen merkwürdig unpraktischen Ausklapptisch und jede Menge Isomatten. Aus einem Elektronikmarkt besorge ich außerdem ein Navigationsgerät, einen Handstaubsauger für Notfälle, eine elektronische Kühlbox (auch für Notfälle) und weitere Kleinigkeiten. Dann fahre ich das Fahrzeug zum nächsten Mechaniker, um Auspuff, Fenster und Spiegel reparieren zu lassen. Mir ist es lieber, wenn ich jetzt meine Ausgaben hinter mir habe und dafür mit einem funktionierenden Fahrzeug loslegen kann.
Mit rund 300 Dollar müsste ich schon rechnen, sagt mir das Mann, und ich akzeptiere.
Einige Stunden später klingelt es auf meiner brandneuen australischen Handynummer (Prepaid. Ich habe meinen Versuch, einen Vertrag zu bekommen, inzwischen aufgegeben): Die Reparatur erweise sich schwieriger als erwartet. Es könne doch etwas teuerer werden, da ein notwendiges Ersatzteil etwa 400 Dollar koste. Ich willige ein – was gemacht werden muss, muss gemacht werden.
Als ich das Fahrzeug am nächsten mittag abhole, trifft mich fast der Schlag: 900 Dollar für die gesamte Reparatur. 200 Dollar kam für die Bearbeitung noch oben drauf – der Rest ist für die Ersatzteile. Zähneknirschend bezahle ich. Hauptsache ich kann jetzt endlich los.
Ich stecke das Navigationsgerät in den doppelten Verteileranschluss am Zigarettenanzünder und nutzen den Zweiten die Kühlbox, die ich bis zum Rand mit Cola-Büchsen gefüllt habe. Dann programmiere ich Canberra als erstes Etappenziel auf meiner Reise nach Tasmanien und fahre los.
Die Sonne knallt mit brutaler Hitze auf Dach und Motorhaube – dies ist mit Abstand der heißeste Tag, den ich hier bisher erlebt habe. Geduldig folge ich den Anweisungen meines Navigationssystems und freue mich darüber in einem Auto mit Klimaanlage zu sitzen. Mit einem Druck auf den Schalter neben dem Lenkrad schalte ich sie ein.
Nach einigen Kilometern erreiche ich den Stadtrand von Sydney. Aus dem Lüfter bläst mir warme Luft ins Gesicht – ich wundere mich darüber, dass die Klimaanlage durch das warme Wetter schon überfordert ist und schalte sie auf die höchste Stufe. Doch auch jetzt bläst mir noch warme Luft entgegen. Die Wärme im Fahrzeug nimmt unaufhörlich zu und mischt sich plötzlich mit dem beissenden Geruch angeschmorter Kabel. Ich beschließe das beim nächsten Mechaniker untersuchen zu lassen. Die Strasse vor mir führt nun durch einen Tunnel, und das von seiner Satellitenverbindung getrennte Navigationsgerät macht mir die Hölle heiß. Der Tunnel ist ungefähr 500m lang, zweispurig und gut ausgeleuchtet. Als ich mich seinem Ende nähere, fällt die Fahrbahn leicht ab und ich muss bremsen, um mit dem Fahrzeug nicht in das nächste zu rasen. Kurz vor der Ausfahrt steigt die Strasse wieder an und ich gebe Gas.
Plötzlich sind alle Geräusche verstummt, der Motor ist aus. Langsam rollt mein Fahrzeug die leichte Anhöhe hinauf, bis es schliesslich wenige Meter nach der Tunnelöffnung stehen bleibt.
Irritiert prüfe ich meine Instrumentenanzeige. Einige Warnlichter blinken, aber eine nicht geringe Anzahl hupender Fahrzeuge hinter mir treibt meinen Blutdruck an. Die rechte Spur direkt nach einer Tunnelausfahrt gehört nicht zu den Stellen, an denen man gerne seinen Motor verliert.
Panik.
Ich drehe den Schlüssel zurück und versuche einen Neustart. Der Wagen wiehert, aber kommt nicht in Schwung. Nun suche ich nach dem Warnblinker und finde ihn nicht. Links vom Lenkrad ist er nicht und rechts davon auch nicht. Ich suche neben der Schaltung und an der Decke. Schließlich finde ich ihn über dem Lenkrad und betätige ihn. Fuck.
Hilflos blicke ich über meine Schultern und sehe, wie ein Auto nach dem nächsten ausschert um auf der zweiten Spur an mir vorbei zu kommen.
Einige scheinen neugierig, andere schadenfroh, und der ein oder andere ärgert sich sogar.
Fuck, fuck, fuck.
Ich steige aus dem Fahrzeug und starre mit eindringlichem Blick hilfesuchend nach hinten. Die zweispurife Strasse ist hier vollkommen unzugänglich – die einzige Hoffnung ist ein Abschleppdienst, und der kommt und kommt nicht. Die Sonne, die heiss von oben brennt, gibt mir den Rest. Ich versuche immer wieder erneut zu starten. Vielleicht ist es nur die Batterie? Wenigstens haben die Autos aufgehört zu hupen.
Es dauert etwa 10 Minuten, bis ich die blinkenden Lichter durch den Tunnel fahren sehe. Kurz darauf werde ich von einem großen gelben Truck aufgeladen. Der Fahrer spricht unverständliches Aussie-Englisch, weist mich aber mit Handzeichen gut ein.
Wir fahren einige Minuten und erreichen eine große Kreuzung am Centennial Park. Dort läd er mich an einer Tankstelle ab und wünscht mir viel Glück. Wider Erwarten kostet mich das Abschleppen nichts – Glück im Unglück.
Die Tankwarte an der Tankstelle können mir nicht helfen – der nächste Mechaniker ist gut 1 Kilometer entfernt – um dort hinzukommen, müsste ich mich von einem kostenpflichtigen Abschleppdienst ziehen lassen, was richtig viel Geld kostet. Außerdem ist schon fast 17 Uhr – normale Ladenschlußzeit in Australien. Doch auch hier habe ich etwas Glück: Nach etwa 30 Minuten hält zufällig ein mobiler Mechaniker an einer Zapfsäule. Er hat zwar schon Feierabend, erklärt sich jedoch bereit, bei mir kurz nach dem Rechten zu sehen. Zuerst prüft er die einzelnen Leitungen auf Herz und Nieren und stellt schließlich fest, dass die Zündung nicht mit Strom versorgt wird. Dies sei entweder der Bordcomputer oder der Verteiler. (Ich verstehe nur Bahnhof und nicke freundlich, er schaut ja gut aus.) Genaueres könne nur eine richtige Werkstatt feststellen. Als er schon dabei ist, seine Werkzeuge einzupacken, fällt ihm ein, nach den Sicherungen zu schauen. Tatsächlich wird er dort fündig. Eine rosafarbene Stecksicherung für den Motorblock hat es fachgerecht zerlegt. Nachdem er diese ersetzt hat, startet auch der Motor wieder. Seine Vermutung ist, dass der Raum unter der Haube von meinem Vorgänger gewaschen wurde und dabei Wasser in die Sicherung eingedrungen ist und sie vorgeschädigt hat.
Freundlicherweise gibt er mir eine zweite Sicherung mit auf den Weg und verlangt für seine Dienste 100 Dollar. Mir erscheint das ziemlich teuer, aber welche Wahl habe ich schon?
Ich steige wieder in mein Falcon, um den Rest der Fahrt auf mich zu nehmen. Es ist schon 17.30 und Canberra immer noch rund 250 Kilometer entfernt. Dennoch fahre ich los, in der Hoffnung unterwegs vielleicht einen Camping Platz zu finden. Zelt und Isomatten habe ich ja.
Den Tunnel habe ich nun hinter mir, und das Navigationsgerät weist mir den Weg Richtung Flughafen. Nach wie vor bläst mir die Klimaanlage selbst auf höchster Stufe warme Luft ins Gesicht – es scheint, als gäbe sie der außen schon vorgewärmten Luft noch die Abwärme des Motorblocks mit auf dem Weg. Als ich den Flughafen passiert habe, taucht die Fahrbahn wieder abwärts, und Sekunden später bin ich in einem zweispurigen Tunnel. Böse Erinnerungen tauchen auf.
Es geht rund 300m leicht bergab und ich muss bremsen, damit mein Fahrzeug für die vorausfahrenden nicht zu schnell wird. Am Ende des Tunnels hebt sich die Fahrbahn wieder leicht an und als ich es erreiche, gebe ich Gas.
Plötzlich sind alle Geräusche verstummt, der Motor ist aus. Langsam rollt mein Fahrzeug die leichte Anhöhe hinauf, bis es schliesslich wenige Meter nach der Tunnelöffnung stehen bleibt.
Irritiert prüfe ich meine Instrumentenanzeige. Einige Warnlichter blinken, aber eine nicht geringe Anzahl hupender Fahrzeuge hinter mir treibt meinen … MOMENT MAL! Das hatten wir doch eben schon! Ich zwicke mich in mein linkes Ohrläppchen und spüre einen leichten Druck. Dann drücke ich das rechte Ohrläppchen. Wieder nur Druck. Ich schlage mir mit der rechten Hand ins Gesicht.
Fuck!
Es passiert schon wieder.
Panik!!
Etwas besser vorbereitet als beim letzten Mal, setze ich den Warnblinker sofort und steige vorsichtig aus dem Fahrzeug. Wieder drängen sich andere Fahrer vorsichtig oder verärgert an mir vorbei. Ich (Tollpatsch) brauche einige Versuche, bis ich die Motorhaube geöffnet habe und ersetze mit zitternden Fingern die selbe Sicherung wie beim letzten Mal. Klappe zu, ich setze mich wieder in mein Fahrzeug, entferne alle Geräte aus dem Zigarettenanzünder und schalte die Klimaanlage aus. Dann starte ich den Motor.
Nichts.
Ich versuche es erneut.
Nichts.
Panik!!!
Dann prüfe ich die Schaltung – ich bin noch in D-Stellung – zum Starten, muss ich sie auf P schalten. Ich bin Automatik-Fahrzeuge einfach nicht gewohnt.
Der Wagen startet.
Vorsichtig langsam und ohne zusätzliche Geräte oder Klimaanlage fahre ich zurück nach Sydney und vermeide dabei jeden Tunnel. Ich habe keine weitere Sicherung in Reserve und auch in einer Tankstelle auf dem Weg kann ich keine kaufen (scheint wohl unüblich zu sein).
Nach einer zitternden Ewigkeit erreiche ich mein Hostel der letzten Tage, checke mich wieder ein und nehme hungrig das Bedauern der anderen Gäste über mein Pech in Empfang.
Am nächsten morgen fahre ich zum Mechaniker, der schon den Auspuff repariert hat. Dieser schickt mich direkt weiter zu einem Elektriker, rund 3km entfernt. Ich bin skeptisch, ob mein Wagen das mitmacht – und eine Ersatz-Sicherung hat auch der Mechaniker leider nicht.
Zwanzig Minuten später bin ich beim Elektriker, der das Auto annimmt und verspricht, bis zum Nachmittag danach zu schauen.
Gegen abend meldet er sich: Eine Reparatur am heutigen Tag könne er nicht mehr versprechen. Eventuell würde es 17 Uhr am nächsten Tag. Ach ja: Die Klimaanlage sei kaputt. Eine Reparatur werde etwa 1000 Dollar kosten. Ob ich das wirklich wolle?
Was soll ich im Australiens Hitze ohne Klimaanlage. Kochend vor Ärger sage ich ja.
Am nächsten Abend stehe ich in der Werkstatt. 1012 Dollar. Rund 600 Euro hat mich die Reparatur gekostet. Ansonsten sieht alles prima aus. Die blonde Frau hinter den Tresen strahlt vor Glück und ich strahle ein bisschen mit.
Anscheinend war es der Kompressor, der mehr oder weniger kurz vor der Explosion gestanden habe und daher für die zerfetzten Sicherungen verantwortlich gewesen sei. Sicher sei man sich aber nicht.
Was mich zur philosophischen Frage bringt, ob man sich bei einer Sicherung jemals sicher sein kann?
Das Fahrzeug sei jetzt aber top. Man habe es komplett zerlegt und neu zusammengebaut. Alle Komponenten seien top. Das Fahrzeug werde jetzt mein top bester Freund werden. Damit könne ich einmal um den Kontinent fahren und zurück. Top.
Es ist 17:33 Uhr und der Tag wird schon wieder grau. Es sind noch 250km bis Canberra. Vielleicht mache ich mich langsam mal auf den Weg.
Sicher ist sicher.