OZ (Ost): January 10, 2008 / 23:22
AUSTRALIEN-REISE
RumAbhängen in Sydney
Pete hängt im Wohnzimmer, zwischen zwei Sofas, der Fuß schleift am Boden. Kerstin hängt an einem knochigen Stuhl, und löffelt Suppe. Joko hängt am Computer, so wie ich, und Jake hängt über Ivy und Ivy hängt am Telefon. Die Rolläden hängen schief und der Computer hängt sich gerade schon wieder auf.
Ich hänge also den 15. Tag in Sydney fest und überhaupt ist rumhängen zu einer Tagesbeschäftigung geworden. Den anderen geht das übrigens nicht anders.
Sydney bietet sich zur gepflegten Zeitverschwendung geradezu an.
Es ist nicht so, dass man nicht aus dem Hostel kommt. Doch irgendwie bleibt man in der Stadt immer in den selben Ecken hängen, geht an den immer gleichen Strand, ins gleiche Kino, den selben Supermarkt. Man weiss schon, welche Buslinie man nehmen muss, um von einem Stadtteil zum nächsten zu wechseln, in manchen Bars wird man sogar schon mit Namen begrüsst. Das Gewohnheitstier, das ich vorbei an der Quarantäne ins Land geschmuggelt habe, fühlt sich schon fast wieder wie Zuhause.
Gar nicht gut.
Klar, natürlich kenne ich schon die wichtigsten Sehenswürdigkeiten. Harbour Bridge und Oper habe ich schon am ersten Tag besucht, und dann, einige Tage später an Silvester erneut. Eigentlich kenne ich in Sydney schon so vieles. Seit meinem ersten Besuch vor vier Jahren hat sich der Reiz des Neuen schon ordentlich abgekaut.
Auch die Annäherung an die anderen Reisenden klappt noch nicht so ganz wie gewünscht. Es gibt hier auffallend viele Deutsche, die pärchen- oder cliquenweise durch das Land ziehen. Sich da für einen Abend reinzuhängen ist kein Problem, doch darüber hinaus bleibt man sich skeptisch. Ähnliches gilt für die meistens etwas älteren, aber „junggebliebenen“ Amerikaner, schatternden Holländerinen oder knarzigen Party-Australier. Ich gebe zu, dass ich oft fremdle – kann aber auch meistens gut belegen, warum. Dann liegt es nämlich am Alkoholkonsum der Anderen oder schlicht ihrer Sprache.
Damit meine ich nicht die Landessprache oder schlechtes Englisch. Nicht im konventionellen Sinn. Ich meine die Wortwahl. Menschen, die eigene Gehirnareale nur zum Gebrauch von Fäkalsprache ausgebildet haben. Um mit ihnen klarzukommen, müssen sie schon vorweisen, dass sie auch andere Areale besitzen, die das kompensieren. Daran scheitert es sehr oft. Noch.
Meine gelegentliche Arbeiten im Internet tragen das ihre zum Rumhängen bei. Oft sitze ich nämlich an meinem Laptop, auf der Suche nach Mitreisenden, Hostels, oder um mich mit Freunden in Deutschland auszutauschen. Oder ich arbeite oder schreibe einen der langen Artikel in meinem Blog. Dabei gehen viele Stunden drauf, während der natürlich keiner wagt, meine Ruhe zu stören.
Der ein oder andere mag einwerfen: Sitz nicht so viel vor dem Rechner, geh raus und arbeite was! Farmen gibt es doch genug! Tja.
Vor einigen Monaten habe ich eine Dokumentation gesehen, wie Studenten auf einer Farm dabei halfen, einer Kuh den Mastdarm zu reinigen. Ein anderer Film über australische Erntehelfer dokumentierte die erstaunlich Vielzahl glibschiger Frösche, die sich zwischen Zucchini oder Erdbeeren einnisten.
So gerne ich auch das Abenteuer mag, aber meine empfindsames, zarte Programmiererseele ist nur begrenzt physischer Belastung gewachsen.
Für Farmarbeit bin ich einfach nicht stark genug.
Dass sich trotzdem etwas ändern muss, steht ausser Frage, weshalb ich meine Suche nach einem geeigneten Fortbewegungsmittel für meine Reise durch Australien vor wenigen Tagen an die oberste Position meiner Prioritätenliste geschoben habe.
Glücklicherweise ist Sydney für den größten und interessantesten Automarkt bekannt, den Australien zu bieten hat und hält Angebote für fast jeden Geldbeutel bereit. Als Käufer sollte man nur wissen, was man sucht – denn sonst wird man womöglich gefunden von einem der vielen professionellen Autoverkäufer. Dabei landet man öfter unter dem Tisch, als einem recht sein kann. Ich entscheide mich daher für die privaten Angebote.
In den meisten Hostels hängen Kopien von Verkaufsanzeigen an den schwarzen Brettern, und so ist es – zumindest jetzt im Sommer – nicht schwer, sich einen groben Überblick zu verschaffen, mit welchen Gefährten man rechnen muss, und in welcher Preisklasse sie liegen.
Dass viele der gehandelten Fahrzeuge von Reisenden durchs australische Hinterland geführt werden und zurück, hat dazu geführt, dass sich manche Marken gegenüber anderen durchgesetzt haben. Der Vorteil liegt auf der Hand: Wer mit einem weit verbreiteten Fahrzeug 500 Kilometer von der nächsten Werkstatt entfernt SchiffWagenbruch erleidet, genießt den Vorzug auch in entlegenen Regionen Ersatzteile zur Verfügung zu haben.
Der Ford Falcon ist daher das klassische Backpacker-Auto, und neben einem Campervan die Option, die ich momentan erwäge.
Anstatt Anzeigenkopie für Anzeigenkopie in den Hostels durchzugehen, sehe ich mir die Autos jedoch lieber vor Ort an, und zwar auf Australiens größten Automarkt für Rucksackreisende: Dem Kings Cross Car Market. Das hat aber auch damit zu tun, dass er nur 150m von meinem derzeitigen Hostel entfernt liegt.
In einem Parkhauses haben Reisende am Ende ihres Trips die Möglichkeit, das Fahrzeug privat zu verkaufen. In zwei Parkreihen im Untergeschoss stehen sich Campervans, Fords und einige japanische Kombis gegenüber. Grundsätzlich haben alle Fahrzeuge einen Check hinter sich, den der Car Market verlangt. Dass die Fahrzeuge den Check fehlerfrei passiert haben, ist damit aber nicht garantiert. Oft müssen noch kleinere Reparaturen ausgeführt werden, um die sich dann der Käufer kümmert. Entsprechend billiger wird dann aber auch der Kaufpreis.
Einige Verkäufer sind aus Deutschland, was die Kommunikation doppelt einfach macht – doch auch den anderen Nationalitäten mangelt es nicht an wortreichen Werbemonologen. Wer sich gerne ungestört ein Bild von der Lage machen möchte, muss damit rechnen, dass ihm das nicht gelingt. Andererseits ist die Auswahl an Autos gross, und meistens gibt es als Dreingabe noch zusätzliches Camping-Gepäck, Gaskocher, Matratzen, Tische und Stühle. Ausserdem erfährt man viel über die Abenteuer, mit denen andere auf ihrer Reise konfrontiert waren. Und ja, Abenteuer steht hier noch für seinen ursprünglichen Sinn, inklusive feuerspeiender Drachen, Jungfrauen in hohen Türmen und Lagerfeuerromantik.
Gleich am ersten Tag sehe ich zwei vielversprechende Fahrzeuge von einem Franzosen und einem holländischen Pärchen. Das eine Auto hat einen zusätzlichen Gastank, was mich angesichts der Spritpreise interessiert. Das andere Auto ist dafür etwas hübscher und besser eingerichtet. Doch noch zögere ich, zuzuschlagen, denn von Autos verstehe ich in etwa so viel wie von Fussball, und manchmal neige ich sogar dazu, die beiden miteinander zu verwechseln. Zuerst brauche ich einen Überblick – ohne den gehts nicht.
Auch bei den Campervans finde ich einige interessante Exemplare: Ein fesches Ozzy-Mobil von 1990 ist nicht nur feuerbunt von aussen bemalt, auch sein Inneres kontrastiert mit himmlischen Blau. An die Decke haben die Vorbesitzer einige künstliche Wolken gemalt, und darunter läd eine breite Queen-Size Matratze zum entspannten Einschlafen ein. Die Matratze liegt auf einem Lattenrost, unter dem sich weitere Kisten verstauen lassen – alles in allem eine interessante Alternative, wenn der Preis nicht auf fast doppeltem Niveau läge, wie meine selbst gesetzte Obergrenze von 4000 AU$ (2500 Euro).
Am ersten Tag werde ich noch nicht fündig, und die beiden interessanten Fahrzeuge sind am nächsten auch schon verkauft. Überhaupt scheinen einige Leute mit Glück weniger gesegnet zu sein, als andere. Während manche den Wagen am ersten Tag auf den Markt bringen und ihn am nächsten mit viel Geld wieder verlassen, warten andere gleich mehrere Tage auf den erlösenden Zuschlag und senken dabei ihren Preis herab, bis es schmerzt.
Ein besonderer Unglücksrabe aus Schweden parkt hier schon seit einer Woche und findet keinen Käufer. Dabei wirkt sein Fahrzeug gut gepflegt. Lediglich die Mängelliste trübt den Eindruck, denn die spricht von einer wackelnden Tür und einem tropfenden Auspuff. Im Vergleich zu den Mängeln der anderen Fahrzeuge aber nichts ungewöhnliches.
Auf 3200 AU$ ist er schon heruntergegangen, gekauft hat er den Wagen für 3800 AU$.
Ein anderer Verkäufer hat dafür ausgesprochenes Glück: Trotz vertikal gesprungener Frontscheibe bringt er seinen 1998 Ford für 13.000 AU$ an den Mann. Ob es an der edlen metallischen Lackierung liegt? Die meisten anderen Autos sind weiß, oder, wenn bunt, dann meistens ausgeblichen und spröde. Klar, auch das Innere des Fahrzeugs wirkt edler als das der meisten anderen. Trotzdem ein wunderlicher Fall.
Mein zweiter Tag im Markt enttäuscht mich gegenüber dem ersten. Die Auswahl ist geschrumpft, insgesamt ist weniger los, und richtig interessiert mich keines der ausgestellten Autos.
Immerhin weiss ich inzwischen, was ich nicht will: Ein Campervan mag eine hervorragende Investition sein, wenn man viel Wert auf gemütliches Schlafen im Auto legt. Man muss aber auch dazu bereit sein, tiefer in die Tasche zu greifen, als bei einem vergleichbaren Kombi, und das kann ich mir einfach nicht leisten. Auch halte ich meine Augen auf und spitze meine Ohren, sobald ich eines der Stichworte „Gas-Tank“ oder „Cruise control“ vernehme. Ohne Tempomat mehrere hundert Kilometer durchs Outback zu fahren, stelle ich mir als übelste Strafe vor – das muss wahrlich nicht sein.
Doch auch der dritte Tag verläuft ohne inspirierenden Moment. Nur die stetig wechselnde Auswahl stärkt meine Hoffnung.
Vielleicht wird am vierten Tag endlich alles gut.