Laizismus: Ein bisschen hier, ein bisschen da …
So muss sich der Gesetzgeber gefühlt haben, als er im Jahr 1949 das Grundgesetz erfand.
Trennung von Staat und Kirche wie sie in Frankreich praktiziert wird, ist eine schöne Sache, aber Deutschland, von jeher Hort christlicher Emanzipation und Toleranz, folgt einer anderen Tradition und einem integrativen Konzept. Darum sollte man auch nicht so verwundert tun, wenn das örtliche Finanzamt darauf hinweist, die Kirche habe ein Recht zu erfahren, ob man an ihren Gott glaubt dazu verpflichtet ist, Kirchensteuer zu zahlen. (Natürlich schließt das nicht alle Kirchen ein, nur die evangelische, die katholische und irgendwelche freikirchlichen. Kommen Sie mal nicht auf die Idee, eine muslimische Religionsgemeinschaft hätte in Deutschland irgendein Anrecht auf Kirchensteuern. Das ist wie mit der Homoehe und dem Ehegattensplitting, aber egal.)
Erstaunt war ich dennoch als mir bei meiner Finanzamtanmeldung in Berlin Kreuzberg (nach mehr als 6 Monaten und auch erst auf mein mehrfaches Insistieren) eine Steuernummer zugestellt wurde, mit dem Vermerk, dass ich mich jetzt an Einkommens-, Umsatz- und Kirchensteuern beteiligen darf. Zuerst hab ich gelacht, als der Batz meinte, ich solle mich vorsehen, weil ich meinen Austritt Ende der 90er sicher beweisen müsse, doch mein Anruf beim Amt strafte ihn Lügen: „Wie, ach ja, stimmt, hier steht’s – sie sind ja ausgetreten! Haha! Jetzt haben wir so lange auf Ihre Akten aus Karlsruhe gewartet, dass wir das glatt nicht richtig gelesen haben. Kein Problem, regeln wir sofort. Entschuldigen Sie noch mal die Störung!“
Es sollte als die angenehmste und unbürokratischste Amts-Erfahrung in die Geschichte meines jungen Lebens eingehen.
Jeder Mann und jede Frau mit Ämterkenntnis ahnt, dass diese Geschichte hier noch nicht zu Ende ist.
Sie nahmen sich Zeit. Sie quälten sich durch Akten, Mythen und Gesetze, und irgendwann – man weiss nicht, ob eine Ewigkeit vergangen war oder nicht – schlugen sie zurück.
Das zweiseitige Schreiben im erfrischendem amtsgrauen Kuvert trug den Titel „Feststellung der Zugehörigkeit zu einer öffentlich-rechtlichen Religionsgemeinschaft“ und in meiner Vorstellung schwante mir Übles: Wie weit reichten die Befugnisse der GEZ eigentlich genau?
Tatsächlich war das Schreiben sehr höflich, und die Gebühreneinzugszentrale in Köln trug dieses Mal keine Schuld. Ein freundlicher Mitarbeiter des Finanzamt Kreuzberg bat mich um meine Mithilfe bei der quälenden Frage, ob und wenn ja, welcher Kirche ich denn genau angehörte, denn leider sei – trotz meines Anrufs vor einem Monat immer noch nicht klar, woran ich eigentlich glaube. Es gebe da einen Fragebogen, und man sei mir sehr verbunden, wenn ich ihn einfach ausfüllte und zurückschickte. Der Vollständigkeit halber wies man noch darauf hin, dass die Kirchen befugt seien, solche Fragen zu stellen. Die Grundlage dafür sei Artikel 140 des Grundgesetzes in Verbindung mit Artikel 136 Absatz 4 der Weimarer Reichsverfassung: sowie §88 der Abgabenordnung. Die Abgabenordnung regele außerdem in §90, dass die Fragen vollständig und wahrheitsgemäß beantwortet werden müssen. Man bitte mich um mein Verständnis.
(Sorry für die vielen Rechts-Links, ich kann da ein bisschen anal werden.)
Jetzt liegt er vor mir, der kleine Bogen und wartet auf Bekritzelung wie Jesus auf das Peitschenleder. War ich denn getauft? Bin ich etwa ausgetreten? Wenn ja, etwa aus freien Stücken? Wo bin ich denn ausgetreten? Bei welcher amtlicher Stelle? Aktenzeichen, na? Bin ich später wieder eingetreten? (Bitte was!?) Oder gar übergetreten (zum Beispiel zu den Protestanten).
Grübelnd sitze ich da und male umgedrehte Kreuze auf ein Blatt Papier.
Was haben sich die Väter des Grundgesetzes nur dabei gedacht? Davon auszugehen, dass ich religiös bin, finde ich fast beleidigend, und ich möchte beinahe so weit gehen, ein paar Kernaussagen aus meinen Artikel über F!XMBR noch einmal zu revidieren. Ach kruzifix, es hilft ja nichts, kein Amts-Arm ist so lang wie der Arm des Finanzamts, keine Taufe so unabwaschbar, wie die Katholische. Ich sollte meine Eltern verklagen, auf Schmerzensgeld. Dabei meinten sie es doch nur gut mit mir… *seufz*
Ich werde den Fragebogen ausfüllen und abschicken und hoffentlich ist dann Ruhe im Beichstuhl.
An dem Tag, an dem der Staat die Rechte von Atheisten genauso ernst nimmt, wie die Rechte von Religionsanhängern, mache ich 3 Kreuze.
Und wenn wir schon dabei sind, hier noch einmal die lustigsten Stellen aus dem Gesetzbuch:
Artikel 136 Absatz 4 der Weimarer Reichsverfassung: Niemand ist verpflichtet, seine religiöse Überzeugung zu offenbaren. Die Behörden haben nur soweit das Recht, nach der Zugehörigkeit zu einer Religionsgesellschaft zu fragen, als davon Rechte und Pflichten abhängen oder eine gesetzlich angeordnete statistische Erhebung dies erfordert.