Jeanette
Im Anfang war das Wort, und das Wort war ein bisschen zu kurz. Gott sah es sich genau an: Es hatte drei Konsonanten und nur einen Vokal. Für ein Wort, das am Anfang stand, war das tatsächlich nicht sehr viel. Hier muss was besseres her, dachte Gott, ein anderes Wort. Wie wäre es mit… Jeanette? Jeanette klang gut. Das waren 4 Konsonanten und 4 Vokale. Das war mal was anderes.
Jeanette legte den Füller zur Seite und sah aus dem Fenster. In der Dunkelheit gähnte griselndes Nichts. Hier fehlt noch was, dachte Jeanette. Licht! Wo eben noch ritalin-süchtiges Rauschen den Blick zur Unendlichkeit gemahnte, vernahm man nun mehr einen schwach leuchtenden Schimmer, der bald zu einem statischen Flackern wurde und dann in kurzen Abständen immer heftiger und heller zuckte und schliesslich zu einem gleichbleibenden grellen Leuchten anschwoll. Doch etwas ging schief, denn das Licht hatte eine eigentümliche Farbe, fast einen Stich zu sehr ins Blau.
Jeanette wühlte durch ihren Allzweck-Koffer, bis sie auf etwas stiess, das ihr Gemüt erhellte: Es war eine aufgerollte, durchsichtige Plane, die jeden Gegenstand, wenn man durch sie hindurchsah, in zartes Ockergelb tauchte. Mit einer Rolle Tesa in der Hand begab sie sich zum Fenster und machte die Plane vorsichtig am oberen Rahmen fest. Dann zog sie die Rolle herab und sah durch sie hinaus. Weisses Licht flutete jetzt durch das kleine Fenster und tauchte Jeanettes Wohnung in ein neutrales, helles Licht, das jedem Weissabgleich die Schamesfarbe ins Gesicht getrieben hätte, und Jeanette fand, dass es gut war.
Allerdings gab es da ein Problem: Das neue Hell, so sehr man seine Vorzüge auch loben wollte, erschien doch trist und in gewisser Weise unbegrenzt. Vielleicht, dachte sie, merke ich mir das für später, es gibt bestimmt Gegenden mit Bedarf für Tristess, aber was hier jetzt fehlt ist ein anständiger Himmel, bei dem Dreckswetter krieg ich festen Stuhl. Und siehe da: Sie teilte das Licht in Himmel und Erde, und beides war gut. Der Nebeneffekt der Erde war übrigens, dass es jetzt auch fruchtbares Land gab, und schon fingen die ersten Pflanzen an, davon Besitz zu ergreifen. Lange Zeit erfolgreich waren kleine grüne Algen, die sich solange vermehrten, bis fast alle wieder innerhalb sehr kurzer Zeit an einem fiesen Virus verstarben. Von nun an schützten sich die verbliebenen grünen Algen beim Sex mit kleinen Gummiröhrchen, die aber ihr Erbgut insofern beeinflusste, dass ihre Nachkommen zu vielzelligen Gewebshaufen mutierten, die man mit etwas Nachsicht Bäume nennen kann. Das ging natürlich alles sehr schnell, aber Jeanette hatte schließlich ihre Finger im Spiel.
Sie hatte ein Auge für die kleinen Dinge, und genau das war es, was ihr jetzt noch fehlte: Details. Sie hatte diesen Himmel, und hin und wieder funktionierte das auch mit der Nacht. Nur die Kausalität zwischen Hell und Dunkel machte noch zu schaffen. Sie fragte sich, ob es sinnvoll war, Tag und Nacht zu erschaffen und erst danach zu klären, was den Unterschied überhaupt verursachte?
Jeanette sah auf die Uhr. Es war schon spät und sie hatte viel zu tun, so vergab sie den Job an die ersten beiden, die am Haus vorüberzogen. Sie hiessen Bob und Gilles, aber Jeanette fand das doof und nannte sie Otto und Robert. Richtig glücklich war aber keiner mit den neuen Namen, und man einigte sich darauf, sie zu einem späteren Zeitpunkt neu zu verhandeln. So stiegen Otto und Robert zum Himmel auf und sorgten für Tag und Nacht.
Als einige Tage später die ersten Vögel an Otto vorbeizogen, war dieser überrascht, schliesslich hatte er von solchen Tieren noch nie gehört. Ganz allgemein war ihm das Konzept Tier ausgesprochen unbekannt, und auf einmal wimmelt es überall von ihnen, hauptsächlich aber im Meer und in der Luft. Das war bestimmt wieder Jeanettes Idee, dachte er. Unterhaltsam war das schon, aber manchmal auch ein Jammerspiel, denn während die Tiere im Wasser sich an die vorgeschriebenen Strömungsgeschwindigkeiten hielten, fiel den Vögeln nichts besseres ein, als sich unter hysterischem Zwitschern zwischen den Bäumen zu verstecken, um dann hin und wieder spontan ausgedehnte Kunstflugschlaufen in die Luft zu setzen. Neben der Ruhestörung, mit der der glückliche Robert weitaus weniger belästigt wurde als Otto, da Robert nur für die Nacht verantwortlich war und nicht wie Otto für den Tag, war dies auch ziemlich gefährlich. Gleich mehrere Mal entkam Otto nur knapp einen himmelwärts zischenden Breitmaulspecht und es war beim sechsten Mal, als Otto entschied, nicht mehr zur Seite zu rücken und der kleine Specht in einer ionisierte Wolke zerstieb. Eine kleinen Gruppe Atome wurde dabei dermassen aufgeschreckt, dass sie durch ein Zeitloch mehrere Millionen Jahre in der Zukunft sprangen, wo eine junge Frau aus Saarbrücken gerade dabei war, einen Millionenhit zu texten.
Als nächstes kam Jeanette auf eine wirklich blöde Idee. Im Grunde war ihr das selbst klar, doch, nachdem sie sich mit den anderen Dingen so viel Mühe gegeben hatte, kam nun die Zeit für andere Bedürfnisse. Jeanette schuf einen Mann und machte ihn homosexuell. Dann gab sie ihm ein schönes Zuhause in einer Höhle und jede Menge Aufgaben.

Der Mann tat im Grossen und Ganzen, was Jeanette von ihm verlangte, auch wenn der Spass eher einseitig bei ihr lag, als bei dem Mann. So gingen sie zusammen einkaufen, er beriet sie in Modefragen und hielt ihre Hand, wenn sie ihm ihr Herz ausschüttete. Er buk für sie Kuchen, einen leckeren aus Schokolade und Marzipan, und wenn ihr danach war, sang er ein Lied, mit zartester Stimme aus goldener Kehle. Er massierte ihre Schultern und erfand dabei Massagegriffe, wie noch nie eine Hand zuvor massierte hatte und jeden Abend, wenn es die Zeit zuliess, schmiegten sie sich bei Jeanette unter den Beamer, assen Erdbeerpudding und vergnügten sich bei einem neuen Film, den der Mann für Jeanette aus dem Internet geladen hatte. Meistens waren es Musicals, aber hin und wieder sahen sie auch einen dieser Liebesfilm, in denen dicke Mädchen oder dicke Jungen für dünne Mädchen oder dünne Jungen schwärmten, die selbst aber schon einen dünnes Mädchen oder einen dünnen Jungen haben, weswegen am Ende immer alles sehr traurig ausging, jedenfalls für die dicken Mädchen und die dicken Jungen, und der Mann beim Zuschauen ebenfalls immer trauriger wurde. Eines Tages dann nahm er Jeanette beiseite und fragte, warum sie ihn eigentlich homosexuell gemacht habe. Es sei keinesfalls so, dass er die gemeinsame Zeit schlecht reden wolle, oder die Unterleibsmassagen, immerhin seien sie ein gutes Training für seine Hände. Jedoch fehle es ihm ein wenig an sexueller Defrustration, die sich dadurch in ihm aufstaue, dass der Nutzen für sein junges, warmes Sperma in der Innendekorgestaltung seiner Höhle bestand, und für weitere Handabdrücke einfach kein Platz sei, vielen Dank.
Ob sie sich für ihn nicht einen zweiten Mann aus den Rippen leiern könne, es sei doch ziemlich unfair, ihn spermagefüllt der sexuellen Frustration zu überlassen ohne jede Aussicht auf eine antwortende Ejakulation.
Jeanette sah ihm in die Augen. Dann nahm sie sich ein Bier, legte sich in ihre Hängematte und dachte lange nach.
Vielleicht, dachte sie, brauchen wir alle einfach ein wenig Ruhe. Nächste Woche mach‘ ich alles anders.