Der Künstlertyp
Wenn es nicht diese Szenen gäbe, die man aus dem Fernsehen kennt, wäre dieser Moment wohl nicht so unglaubwürdig:
Er läuft los und zieht seinen Rollkoffer so nah hinter sich her, dass er ein, zwei mal beinahe rückwärts stolpert. Sie kramt ihre Sachen zusammen mit meinem Vordiplom in ihre kleine Plastiktasche, sucht nach einem verbündeten Blick, „Ich … muss.“, und eilt ihm hinterher. „Roland! Ich find‘ das jetzt voll Scheisse von Dir!!„. Der Schrei hallt noch ein paar Sekunden durch die Nacht und schreckt einen Penner von seiner Bank. Die Frau am Nachbarstisch überführt ihren Ärger in Sorgenfalten. Ich sehe den beiden noch einige Sekunden hinterher, bis er nach links und sie in die Bahnhofshalle vor mir entschwindet.
Gestern gegen halb 10 kam ihr Anruf. Ute hatte einen neuen Freund, seit 2 Wochen. Das war tatsächlich neu, und Simon, der Alte, war ein verbrauchter Name. Der Neue dagegen hiess Roland. Er versorgte Ute nicht nur mit körperlichen und materiellen Geschenken, die Simon seit Monaten verweigert hatte, obendrein war er auch an Talenten dreimal so reich. Verbissen gut sah er aus, der schlanke Körper durch gezielten Stadtparklauf definiert und für emotionale Gespräche war er der Mann – auch besass er Geld, Stil und hatte Sinn für Kunst. Kurz: Wäre er nicht nachweislich heterosexuell, so trüge er blaue Kontaktlinsen und sein Namen hätte Tommy gelautet, aber keinesfalls Roland.
Ich müsse ihn kennenlernen, ich sei ja so selten in Karlsruhe, am besten noch vor dem Urlaub. Um 5 Uhr ginge der Flieger. Es sei eine Spontanbuchung und Roland habe sie eingeladen. 1000 Euro pro Ticket! Prima, sagte ich, dann könne ich ihr auch gleich ein Exemplar meines Vordiploms schenken, das hatte ich nämlich dabei. Ausserdem müsse ich ihr noch erklären, warum ich mein Studium abbreche. Um Mitternacht schwang ich mich auf Fahrrad.
Sie saßen in einem kleinen Café gegenüber des Karlsruher Hauptbahnhofes. Gepackte Köfferchen und Taschen standen links und rechts vom Tisch. Korfu war das Ziel, von Frankfurt aus wurde geflogen.
Ich begrüsste die beiden. Roland nahm meine Hand, dann die Zigaretten, ihm sei nach Rauchen, und verschwand ums Eck.
Ute überreichte ich meine Arbeit, setzte mich und wir diskutierten, zuerst über Schamhaare und Strukturen, dann über Emma und zuletzt über die Gunst, eingeladen zu werden.
Nach 15 Minuten kam Roland zurück, setzte sich für 2 Minuten, um dann wieder seine Jacke zu packen und ins Innere der Kneippe zu verschwinden. Es sei ihm kalt. Nein, er wäre nicht genervt.
Tatsächlich war es etwas kühl für diese Jahreszeit. Erstaunlich scheu sei er aber doch, und Ute gab das zu. Tatsächlich habe Roland sich nur verhalten glücklich gezeigt, als sie mich anrief. Dabei wollte sie mich doch nur noch einmal sehen, vor dem Urlaub. „Roland, der schmeisst sein Studium!“
Man muss dazu sagen, dass Ute und ich alte Freundinnen sind. Wir hatten schon den gleichen Arbeitgeber, das gleiche Radio und die gleiche Hochschule besucht. Nicht nur das, wir kamen sogar aus dem gleichen Bundesland. Rolands Eifersucht war völlig unbegründet. Ob er das nicht wisse? Den beiden stand nun 1 Woche zweisamer Urlaub zwischen Sonne und Meer bevor – war die eine Stunde Abschied zu viel? Und immerhin schmiss ich mein Studium!
Nachdem Roland 30 Minuten später noch nicht an den Tisch zurückgekehrt war und ich mir langsam Sorgen machte – die Abfahrzeit nach Frankfurt rückte näher – beschloss sie im Café nach dem rechten zu sehen. Ich sah sie durch die Scheibe an den Tresen stehen: Er den Kopf gesenkt, ihr blonder Puschelkopf an seinem. Er paddelte wild mit den Händen, verschüttete fast seinen Sekt. Ihre Hand an seiner Schulter. Die Blicke tief, die Kellnerin besorgt.
Sie stürzt an den Tisch, greift nach meiner Arbeit und stopft sie in die Tasche. „Ich wusste es, ich wusste es. Was für ein Psycho…“. Es gab jetzt keine Zeit mehr zu verlieren. Im Hintergrund stürzt Roland aus der Eingangstür, packt seinen Rollkoffer und zieht los. „Jetzt warte doch mal!“. Sie wirft mir noch einen Blick zu. Roland ist schon an der Bushaltestelle. Ich befürchte das Schlimmste. „Dann flieg ich eben allein. Das sind 1000 Euro für die Tickets!“ Dann zu mir: „Willst Du mit nach Korfu?“
Als die beiden in der Dunkelheit verschwinden – sie nach Korfu, er wohl nach Hause – beginne auch ich meine Sachen zu packen. Es wurde langsam kalt und ich fragte mich, wie das Wetter in Griechenland wohl gerade sei. Ausserdem hatten wir die Sache mit dem Studium nicht geklärt. Andererseits schien mir die spontane Einladung anzunehmen nun doch nicht so angemessen. Und wer weiss, vielleicht nahm er auch einfach nur den nächsten Flieger hinterher.
Mit Künstlertypen ist nicht zu spaßen.