Zuschauertest im Atomzeitalter
Atombomben-Test „Small Boy“ 1962. (Quelle)
Es war 3 Wochen her, als heute vor 62 Jahren, am 6. August 1945 die erste Atombombe über der südwest-japanischen Stadt Hiroshima zündete und sofort mehr als 90.000 Menschen tötete.
Die erste Detonation der neu entwickelten Bombe, die in religiöser Anspielung den Namen „Trinity test“ trug, ereignete sich aber bereits am 16. Juli auf amerikanischem Boden. Der Ort in der White Sands Missile Range in New Mexico ist trotz umfangreicher Abtragungen bis heute mit radioaktiver Strahlung kontaminiert, das Gelände weiträumig abgesperrt.
Nicht ohne Stolz präsentieren die Vereinigten Staaten von Amerika ihr atomares Vermächtnis. Die Trinity Test Site ist inzwischen ein nationales Museum, das Besuchern am jeweils ersten Samstag im April und im Oktober offen steht. Der Glaube an die Friedenswaffe blieb im einzigen Land, das je Atombomben im Krieg einsetzte bis heute unerschüttert.
Video: Der Trinity-Test
Die Entwicklung dieser Waffen sowie der damit verbundene Wettlauf mit der UdSSR in der Zeit des Kalten Kriegs erfährt heute wieder brisante Aktualität durch das Bestreben von Ländern wie Nordkorea und Iran, an Atomwaffen zu gelangen, aber auch durch Äußerungen amerikanischer und russischer Regierungsmitglieder, die ahnen lassen, dass das Thema nicht vom Tisch ist. Während in Deutschland über die Fortsetzung der Atomenergie gestritten wird, scheint ein weiterer Schub in der internationalen Atomwaffenrüstung schon so gut wie sicher. „Sauber“, „ungefährlich“ und „verbessert“ sollen sie sein, die neuen Waffen. Diese Sprache erinnert frappierend an die Dialektik der 60er Jahre. „Mininukes“, inzwischen ein stehender Begriff, besticht durch seine Niedlichkeit, mit der die Monstrosität des Wortes „Nuclear Bomb“ relativiert wird. Selbst das Wort „Verbesserung“ verharmlost den Vorgang, impliziert es doch, dass man aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt habe.
Dabei reicht ein Blick in die Geschichte, um zu verstehen, dass das Ausmaß dieser Waffe zu keiner Zeit verstanden wurde.
Wenn man den Schaden berücksichtigt den allein ihre Entwicklung bis heute angerichtet hat, findet man Tschernobyl auch gleich nicht mehr so schlimm.
Fahrlässig wurden riesige Landflächen für Jahrtausende unbewohnbar gemacht. Amerikanische, russische, asiatische, europäische und andere Zivilbevölkerung wurde bewusst entweder direkt oder indirekt einem immer stärker werdenden radioaktiven Fallout ausgesetzt. Obwohl schon sehr früh die schädliche Wirkung der Produkt und Strahlen einer Kernfusion oder Kernspaltung bekannt war, wurden nicht nur junge Soldaten als „Zuschauer“ oder für „Trainingszwecke“ in die Testgebiete geschickt und damit direkt dem Tod geweiht, auch die ureingesessenen, nicht-technisierten Bewohner der Marshallinseln wurden zwar während der Tests evakuiert, aber schon kurze Zeit danach mutwillig in die verseuchten Gebiete zurückgebracht. Propagandistische Schwarz-Weiss-Dokumentationen sollen die wohlmeinenden Absicht der amerikanischen Militärs beweisen, in denen sie zunächst mit den Eingeborenen „verhandeln“, ehe diese freudig applaudierend höheren Zielen weichen. Auch die Russen evakuierten Teile der eigenen Bevölkerung, um sie direkt nach den Tests in ihre Gebiete zurückzuführen und sie bei der bald einsetzenden Strahlenkrankheit zu beobachten. Im Gegensatz zu den Amerikanern ist es heute jedoch schwerer dokumentierendes Filmmaterial dafür zu finden.
In vielen Fällen wurde sowohl bei Russen als auch bei den Amerikanern auf eine Evakuierung jedoch gleich ganz verzichtet: Durch die grosse Höhe der Atomexplosion in den oberen Wolkenschichten war eine Begrenzung des Fallouts ohnehin nicht möglich. Die nukleare Fracht dieser meist extrem gewaltigen Bomben wurde so weltweit verteilt. Das gleiche gilt natürlich für alle Unterwasserexplsionen. Durch Meeresströmung wurde das kontaminierte Wasser in alle Winkel der Erde getrieben.
Zwei Atombomben-Krater auf dem Enewetak Atoll (Marshall Islands). Unten: Beton-Dom über einem der Krater, unter dem große Teil des radioaktiven Materials aufgeschüttet wurden. (Foto: Google Maps)
Sarkasmus oder Ignoranz? Auf der Seite des Marshall Islands Dose Assessment and Radioecology Program sind die Inseln der Atolle als „strahlende“ kleine Perlen ins Web Design integriert.
Gut dokumentiert
Was mich beim Ansehen der Dokumentarfilme, die ich weiter unten vorstellen möchte, erstaunt hat war nicht so sehr die haarsträubende Propaganda mit der sowohl Amerikaner als auch Russen die Entwicklung dieser entsetzlichen Waffen vorangetrieben haben.
Vielmehr erschüttert mich, wie unbekümmert und geschichtsklitternd auch heute noch der Umgang mit Radioaktivität ist und wie wenig getan wird, um eine weltweite Weiterentwicklung – USA, China und Russland eingeschlossen – zu verhindern.
Das mag daran liegen, dass, obwohl das Ausmass der zerstörerischen Tests gut dokumentiert ist, sie sich selbst mit vergleichenden Werten nur schwer fassen lassen.
Ein weiterer Grund ist sicher auch die verstörende Faszination der gigantischen, übermächtigen Explosionen, die mit dramatischer Musik unterlegt in Dokumentationen (zum Beispiel von Peter Kuran) mehr als nur den Schimmer einer religiösen Aura erahnen lassen, die natürlich auch die Popkultur mit postapokalyptische Filmen, wie Beneath the Planet of the Apes von 1970, nachhaltig prägten.
Quelle: https://en.wikipedia.org/wiki/File:BtPotA-theend.JPG (inzwischen gelöscht)
Trinity, die beiden Abwürfen auf Japan und die darauf folgenden Tests auf den Marshallinseln stellen keineswegs den Höhepunkt der Atomwaffen-Entwicklung dar. Vielmehr gab es bis zum heutigen Tag weltweit etwa 528 Nukleartests in der Atmosphäre – zum Teil mit Bomben, deren Detonationskraft 2500 mal größer war als jene der 20 KT Monster „Little Boy“ und „Fat Man“ in Hirsohima und Nagasaki. Wenn man unterirdische und Unterwasser-Tests dazurechnet kommt man weltweit sogar auf mehr als 2000 Tests. Ihren vorläufigen Höhepunkt erreichte die inzwischen auf mehr als 50 Megatonnen angestiegene Explosionskraft im Jahr 1961 mit dem Abwurf der russischen Zar-Bombe.

Atomwaffen-Schwanzvergleich: Größe der direkten Explosionsbälle verschiedener Kernwaffen, Millisekunden nach der Detonation (Quelle)
Video: Abwurf der Zar-Bombe
Schlechte Atmosphäre
Die radioaktive Hintergrundstrahlung durch das ununterbrochene Bombardement im weltweiten Wettrüsten nahm innerhalb weniger Jahre besorgniserregend zu und erreichte um das Jahr 1965 sein Maximum in der Atmosphäre. Um die weitere Kontaminierung einzudämmen – zumal die bis dahin entwickelten Bomben eine wesentlich höhere Fallout-Gefahr zur Folge hatten, als noch die ersten Versuche in den 40er Jahren – beschlossen die Mächte USA/GB und die UdSSR zwar auf oberirdische Tests zu verzichten. Dennoch wurden von Frankreich und China bis in die 80er Jahre oberirdisch munter weitergebombt. Seit dem teilweisen Stopp nahm die Strahlung zwar wieder ab, stabilisiert sich aber auf einem höheren Niveau als vor Testbeginn 1945. Das Ende der oberirdischen Tests bedeutete natürlich nicht das Ende der Kernwaffenexperimente: Bis 1998 wurden von den USA unterirdische Tests durchgeführt, und auch von anderen Nationen wie Nordkorea wurden bis in jüngste Zeit – zuletzt 2006 – munter gezündelt. Eine Gefahr langfristigen Austretens an die Luft oder ins Trinkwasser kann bis heute nicht ausgeschlossen werden.
Einer Grafik, welche den Weg und den Niedergang radioaktiver Wolken von Atombomben-Tests auf das amerikanische Festland zeigen, ist besonders erschreckend. Da die Tests fast ausschliesslich durchgeführt wurden, wenn von Wetterdiensten ein Wind von Westen nach Osten vorhergesagt wurde, blieben die im Westen liegenden Städte Los Angeles und Las Vegas zwar geschützt. Statt dessen reichte der Fall Out jedoch von der Test site bis zur Ostküste und ging sogar in Gegenden bei New York nieder.
Zum Vergleich, was wo liegt, empfehle ich diese Karte hier.
International fehlt es leider bis heute am eindeutigen Bestrebungen, der Atomwaffen-Technik endgültig den Rücken zu kehren. Mit scheinheiligen Begründungen wird alle Jahre wieder eine neue Aufrüstung beschworen und je nach Präsident in den USA, der UdSSR, China oder sonstwo ihre Notwendigkeit mit dem naiven Wunsch nach Frieden begründet. Die Logik der Argumentation ist so dumm wie die Forderung nach noch mehr Schusswaffen, um die Anzahl der Schusswaffenopfer zu senken.
Als Bürger eines Staates, der selbst keine Atomwaffen besitzt oder herstellt, scheint es uns selbstverständlich, gegen Atomwaffen zu sein. Das lässt vergessen, dass viele Exemplare der strahlenden Waffen nicht nur jahrelang in einer amerikanischen Militärbasis bei Rammstein lagerten, sondern auch dereinst von der seligen CSU-Größe Franz Josef Strauss artig umleibt worden sind. Die Erkenntnis, dass die scheinbare Macht dieser Waffen in Wahrheit das größte Gefahrenpotential für eine Gesellschaft darstellen, hat der Mann, aber auch viele andere deutsche Politiker leider nie verstanden, und nur weil die Diskussion darum in unserem Land nicht offensichtlich ist, sollte niemand glauben, sie hätte keine Chance sich doch noch irgendwann zu entwickeln. Vor einigen Jahren dachten wir, mit dem Ende des kalten Krieges hätte auch für die USA diese furchtbare Waffe ihren Sinn verloren. Doch allein Serien wie 24, in der Titelheld Jack Bauer in jeder zweiten Staffeln der Atombombe des Tages hinterherjagt, zeigen, wie präsent die Holy Bomb in den Köpfen der Amerikaner ist. Und wenn wir Deutschen es auch nicht direkt zugeben: Ein bisschen fasziniert sind auch wir. Es ist die gleiche Faszination, die ein Reh oder ein Wildschwein ergreift, wenn sich ihm große weiße Lichter in voller Fahrt nähern und es nicht entscheiden kann ob es stehenbleiben soll oder wegrennen… bis es zu spät ist. Das sollte man vielleicht bei den folgenden Dokumentaionstipps bedenken ;-)
Zum Schluss noch einige Video-Empfehlungen, um sich mit dem Thema weiter auseinander zu setzen:
„Truth Game“: John Pilger, Journalist Daily Mirror untersucht Propaganda und Umgang mit der sogenannten „allgegenwärtigen nuklearen Bedrohung“.
„On August, 7th 1945 President Truman announced the atomic bombing of Hiroshima with these words: ‚The experiment‘, he said, ‚has been an overwhelming success‘. Three days later, the destruction of Nagasaki was officially described as ‚having achieved good results‘. These announcements and especially the words used – ‚experiments‘, ‚good results‘ – to describe the unique and horrific carnage of nuclear war with the first public examples of a new kind of propaganda. By using reassuring, even soothing language. Language, which allowed both the politicians and us to distance ourselves from the horror of nuclear war. This new kind of propaganda created acceptable images of war and the illusion we could live securely with nuclear weapons.“
1h 19min, Film von 1983
Diesen Film kann man sich hier online ansehen:
Video: Truth Game
Hinweis: Wer schwache Nerven hat und wenig scharf darauf ist, Aufnahmen von Bombenverletzungen zu sehen, sollte von Minute 12 bis 16 den Film überspringen oder zumindest das Bild auf schwarz stellen. Die akustischen Ausführungen über den Umgang der Amerikaner mit den Opfern an dieser Stelle sind nichtsdestotrotz sehr interessant!
Eingeschränkt empfehlenswert ist der weitaus bekanntere Film „Trinity And Beyond“ von Peter Kuran, mit der Erzählstimme von Star Trek Captain William Shatner.
Obwohl spannend inszeniert, windet sich der Film um eine eindeutige Stellungsnahme. Er inszeniert die Explosionen der verschiedenen Tests in atemberaubender Qualität und Schönheit und vermeidet, anders als John Pilgers Film, weitestgehend Bilder der Opfer.
Die BBC hat 2005 die (nicht weniger reisserische) Dokumentation „BBC History of World War II: Hiroshima“ gedreht, deren erste 10 Minuten man bei YouTube sehen kann:
Video: Hiroshima-Dokumentation der BBC
„The People vs. the Bomb“ ist eine Dokumentation von Kevin Sanders über die Rückschläge für die Vereinigten Nationen in der Durchsetzung des Atomwaffensperrvertrags.
Zum Schluss noch der sehr bekannte amerikanische Propagandafilm, ohne den in den 50er Jahren kein Kind aus der Vorschule gelassen wurde:
„Duck & Cover“, ein Zeichentrickfilm über die hysterische Schildkröte „Bert“, die bei jedem Pups mit einer Atombombe rechnete. Der Film hatte einen massiven Einfluss auf die noch heute zu spürende Atom-Paranoia bei amerikanischen Erwachsenen.
Video: Propagandafilm Duck & Cover
Nachtrag vom 29. August 2007:
Was ist das für eine Faszination, die von diesen Bomben ausgeht, dass ich mir diese Videos immer und immer wieder ansehen muss?
Eben eine Zusammenstellung der „schönsten“ Nuklearexplosionen des vergangenen Jahrhunderts bei YouTube gefunden:
Video Best of Atombomben-Explosionen
Nachtrag vom 23. November 2007:
Der Spiegel berichtet in seiner aktuellen Ausgabe davon, dass Untersuchungen ergeben hätten, dass die Gefahr durch radioaktiven Fallout in der Vergangenheit häufig überschätzt worden sei. Tatsächlich wisse man inzwischen, dass nach dem ersten Atombombenabwurf in Hiroshima unerwartet wenig Leute an der gefürchteten Strahlenkrankheit gestorben sind. Tatsächlich seien zwar direkt nach dem Abwurf 140.000 Menschen gestorben. Danach waren es aber bis zum heutigen Tag angeblich nur etwa 780 Menschen, die nachweislich an Blutkrebs, Tumoren, strahlenbedingtem Herzinfarkt starben. (Untersuchungen aus dem nucleo-phoben Japan würden das belegen). Auch Untersuchung anderer Unglücke mit radioaktivem Strahlenaustritt (z.B. in Kernkraftwerken oder bei Atomtests) legten die Vermutung nahe, dass die tödliche Auswirkung der Strahlenkrankheit weitaus geringer sei als bislang angenommen. Während bei mir die Skepsis zwar überwiegt – schließlich wäre es nicht das erste Mal, dass Atom-Lobbyisten versuchen, den Bürgern den Atomeinstieg schmackhaft zu machen -, möchte ich trotzdem auf diesen interessanten und ausführlichen Artikel bei SPON hinweisen, der zum Teil im Widerspruch zu meinen Ausführungen oben stehen mag (was ja nicht unbedingt heisst, dass der SPON-Artikel richtiger ist, als meine Recherchen *g*).