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2. August 2007 / 07:41

Brief an Frau Zypries

Ich gebe zu, ich bin idealistisch und naiv.
Aber wenn *sie* es nicht liest, dann wenigstens ihr!

Und wenn ihr mir helfen wollt, dann schreibt ihr doch einfach auch!

Liebe Frau Zypries,

ich mache mir Sorgen: Es geht um die rechtliche Situation von Internetnutzern in Deutschland.
Es ist nämlich sehr deprimierend, was Gerichte zur Zeit so alles anstellen, um für diese Gruppe das sogenannte Web 2.0 möglichst unattraktiv zu machen.

Lesen Sie doch bitte einmal den folgenden Artikel bei Spiegel Online und erklären Sie mir, wer im Justizministerium dafür verantwortlich ist, dass ein Webseitenbetreiber für den Unsinn eines seiner Kommentatoren verantwortlich sein soll, und nicht der Unsinnschreiber selbst:
https://www.spiegel.de/netzwelt/web/0,1518,490006,00.html

Haben Sie den Fall zu „CallActive“ verfolgt? Falls nicht, sollten Sie das schleunigst nachholen.
Sehr erhellend und passend zum Thema ist dieser Blog-Beitrag zur Abmahnpraktik der genannten Firma:
https://www.stefan-niggemeier.de/blog/callactive-siegt-ueber-meinungsfreiheit/
und auch dieser SPON-Artikel:
https://www.spiegel.de/netzwelt/web/0,1518,497701,00.html

Eigentlich dachte ich, jedem Menschen mit gesunden Menschenverstand sei klar, dass die in den Artikeln erwähnten Gerichte hier überdimensional große Böcke abgeschossen haben. Auf sämtlichen großen Blogs, wie dem des Medienjournalisten Stefan Niggemeier, MC Winkel oder Johnny Häuslers Spreeblick werden die Frechheiten z.B. des Landgericht Hamburgs diskutiert und als absolut fern von jeglichem gutem Rechtsempfinden gewertet. Zum Teil werden und wurden die genannten Blogger selbst Opfer der genannten Gerichte. Leider geschieht zu ihrem Schutz und zum Schutz der Meinungsfreiheit in Blogs scheinbar herzlich wenig.

Wie ich gesehen habe, führen Sie ebenfalls ein Blog unter https://blog.brigittezypries.de/ auf dem Sie für Internet-Junkies und die jüngere Generation über ihre Politik berichteten, bis Sie – nach gewonnener Bundestagswahl 2005 und Vereidigung zur Bundesministerin des Inneren – kaum noch Zeit hatten dieses fortzuführen. Zu schade, aber ich verstehe das natürlich, im Wahlkampf liegen die Prioritäten eben ein bisschen anders.

Wahrscheinlich hatten Sie seither auch relativ wenig Zeit, sich insgesamt mit dem Phänomen Blogs auseinanderzusetzen, darum möchte ich Ihnen gerne ein Update geben: Blogs sind Webseiten, die Volkes Stimme ungefiltert zulassen und eine nicht unbeträchtliche Anzahl Menschen erreicht. Sie sind anders als Zeitungen, weil es sich eben nicht um Redaktionelle Inhalte mit großen, finanzstarken Unternehmen im Hintergrund handelt und es sind auch keine „Privaten Homepages“ oder „Internet-Tagebücher“. Es handelt sich um Seiten, die von engagierten Menschen betreut werden, die an die Sache, die sie machen glauben und sagen, was sie denken. Ungefilterte Meinungen! Das kann manchmal ein wenig anstrengend sein, öfter sehr emotional, manchmal auch kreuzlangweilig, nicht selten zum Pathos neigend, persönlicher als Online-Zeitungen und auf jeden Fall subjektiv gefärbt. Aber in ganz vielen Fällen sind Blog trotz vieler kleinerer Mängel immer wieder spannend und vor allem informativ. Vor allem dann, wenn man von Dingen erfährt, für die sich die „etablierten Medien“ wie Zeitungen, Online-Magazine oder Fernsehen nicht interessieren und folglich auch nicht oder kaum darüber berichten.
Das ist aber leider etwas, was das Leben gerade für zwilichtige Firmen, wie zum Beispiel die Firma Callactive, die in der Kritik stehende Glücksspielsendungen produziert, etwas unangenehm macht.
Glücklicherweise gibt es für diese Firmen ein Instrument mit denen sie sich gegen unverlangte Kritik äußerst erfolgreich wehren können: Abmahnungen nämlich, und zwar gegen sogenannte „Störer“ in Blog-Kommentaren (vor Gerichten auch bekannt als „Forum“). Die haben zwar mit dem unverlangten Kritiker zunächst mal gar nichts zu tun, aber wie schon im Spiegel Online Artikel erwähnt ist das auch gar nicht nötig. Denn der Kritiker kann ja dafür abgemahnt werden, wenn sich einer seiner Leser – ein „Störer“ – danebenbenimmt. Das ist doch super für die Firma, oder? Einfach nach einem Kommentar mit falscher Tatsachenbehauptung suchen und abmahnen. Notfalls tippt man einfach selbst einen solchen Kommentar unter anonymer Adresse (die Möglichkeit gibt’s ja) und verklagt dann den Betreiber des Blogs. So einfach kann das Leben sein, und Geld verdient man durch die hohen Abmahnkosten auch, die der Blogger dann zahlen muss.
Wenn man also nicht will, dass Leute ein Angebot, das sie für betrügerisch halten als betrügerisch bezeichnen, mahnt man eben einfach ab. Ist doch egal, ob es hier um Meinungen der Leute geht. Der Begriff Meinungsfreiheit ist ja im Gesetz eh nicht so richtig ernst gemeint und vielen Einschränkungen unterzogen. Vor Gerichten kann man alle mögliche als „falsche Tatsachenbehauptung“ verkaufen, solange derjenige nichts beweisen kann, und Gerichte mögen falsche Tatsachen gar nicht gern. Vor Gerichten – besonders in Hamburg oder München – wiegt das Recht von Firmen außerdem immer ein bisschen schwerer als das von normalen Personen. Da freuen sich natürlich die Firmen. Damit kann man Kritiker schön schnell mundtot machen und muss sich inhaltlich nicht mehr mit ihnen auseinander setzen. Bei Stefan Niggemeier zum Beispiel blieb nicht unbemerkt, dass er seit der Abmahnung gegen sich deutlich seltener kritisch über die betreffende Firma geschrieben hat. Die Unvorsichtigkeit seiner kommentierenden Leser kann für den Journalisten schnell existenzbedrohend abgemahnt werden.

Und was macht das Justizministerium derweil? Ja, ich habe gelesen, dass Sie sich dafür einsetzen, dass Abmahnkosten für die erste Mahnung in Zukunft auf 50 Euro gedeckelt werden. Macht mich das glücklich? Nein. Löst das die oben angesprochenen Probleme? Nochmals nein.
Warum nicht? Erstens ist z.B. Stefan Niggemeier in diesem Fall Journalist und keine Privatperson und könnte von dieser Deckelung gar nicht profitieren, obwohl für ihn eine Abmahnung genauso existenzbedrohend ist, wie für eine Privatperson. Außerdem sind sämtliche Deckelungen wirkungslos, solange Gerichte unsinnige Regelungen wie die Störerhaftung anwenden können, um Kritiker mundtot zu machen. Allein die psychologische Wirkung, die sowas auf andere Blogger hat, reicht doch schon, um Kritik im Keim zu ersticken. Und notfalls wird eine Firma einen Grund finden, ein zweites Mal abzumahnen und die Deckelung greift ja nur für die erste Mahnung. Beim zweiten Mal wird es ja richtig teuer.

Frau Zypries, wir erleben zur Zeit einen massiven Missbrauch des Rechts von Unternehmerseite gegenüber Privatpersonen oder anderen Unternehmen, der alles bisher dagewesene in der Geschicht der Bundesrepublik übersteigt. Nicht nur für Privatpersonen ist das gefährlich, sondern auch für Unternehmen. Eine Firma wie der Yahoo-Ableger flickr zum Beispiel traute sich nur mit massiven und zensierenden Einschränkungen den deutschen Markt zu betreten, aus Angst vor den rigiden und für Menschen wie mich nicht nachvollziehbaren deutschen Gesetzen. Mir scheint, als seien die aktuellen deutschen Gesetze in keiner Weise auf die Realität des Internets vorbereitet und ich wünsche mir, dass Sie dafür sorgen, dass endlich wieder das Gesetz normale Menschen und Firmen schützt statt sie zu kriminalisieren. Die klagenden Firmen müssen in ihre Schranken verwiesen werden. Eine falsche Tatsachenbehauptung von einer Privatperson *muss* ein Unternehmen einfach aushalten müssen, ohne sofort mit der juristischen Keule drohen zu können – hier muss es andere Instrumente geben – zum Beispiel, dass ein Unternehmen erst ohne Einschaltung eines teuren Anwalts ein Richtigstellung verlangt, ehe der Rechtsweg bestritten werden kann. Außerdem dürfen Forenbetreiber nicht länger für die Kommentare ihrer Leser belangt werden. Ein Schauspieler auf einer Theaterbühne kann schließlich auch nicht dafür belangt werden, wenn jemand aus dem Publikum aufsteht und etwas Falsches ins Publikum schreit.
Erst wenn die Gefahr, durch Kleinigkeiten die eigene Existenz aufs Spiel zu setzen, gebannt ist, wird kritische Berichterstattung wirklich möglich sein.
Tun Sie was!

Wenn Sie die Zeit finden auf meinen Brief zu antworten, würde ich mich sehr freuen.
Sofern Sie nichts dagegen haben, würde ich in diesem Fall eine Anwort auf meiner Webseite (https://blogoff.de/) veröffentlichen, auf der ich auch diesen Brief veröffentlicht habe.

Mit freundlichen Grüßen,
Manfred Renner

 
 


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