Schlitzohr Esel
Auch ich habe jetzt so ein Ding in der Seite.
Es gibt allerlei Gründe, den totalen Überwachungsstaat verhindern zu wollen.
Hier mein Lieblingsargument, was sicher den meisten eher irrelevant erscheinen mag. Für mich ist es aber eines der bedeutendsten Argumente überhaupt:
Eine Vorratsdatenspeicherung diskriminiert Nutzer von Telefon, Mobiltelefon und Internet gegenüber anderen Kommunikationsformen.
„andere Kommunikationsformen“ – damit ist nicht zuletzt auch das Reden mit dem Mund und das Hören mit den Ohren gemeint. Ich mag mir nicht vorstellen, mit welchen Gesetzesandrohungen wir rechnen müssten, wenn es technisch(!) möglich wäre jedes noch so kleine, noch so private Gespräch was mit Mund und Ohren durchgeführt wird, auf Vorrat zu speichern. Für jedes „Hallo, wie geht’s?“, „Hast Du Deine Hausaufgaben gemacht?“ und „Wollen wir später geile Fesselspiele ausprobieren, mit Anpissen und so?“ müssten wir dem Staat ein Nutzungsrecht zur Verfügung stellen.
Machen wir uns nichts vor: Der einzige relevante Grund, warum es keine EU-Richtlinie zum Vorrats-Aufzeichnen von tatsächlichen Gesprächen gibt, ist dass es uns bereits technisch und logistisch überfordert, nur die reinen Verbindungsdaten zu speichern. Ein „überwiegendes Allgemeininteresse“, was meistens als Gesetzesgrundlage dienen soll, ist schnell herbeikonstruiert und Kritiker werden immer mit der selten dummen Formel „Wer nichts zu verbergen hat, hat auch nichts zu befürchten“ abgekanzelt. Telepolis hat diesen Euphemismus letztes Jahr sehr schön auseinander genommen.
Alles, was möglich ist, wird irgendwann auch versucht. Da hilft selbst das Recht auf informationelle Selbstbestimmung nur wenig.
Dabei wissen Teile des Staates doch ganz genau, um was es geht. 1983 kommentierte das Bundesverfassungsgericht zum so genannten Volkszählungsurteil:
Die freie Selbstbestimmung bei der Entfaltung der Persönlichkeit werde gefährdet durch die Bedingungen der modernen Datenverarbeitung. Wer nicht wisse oder beeinflussen könne, welche Informationen bezüglich seines Verhaltens gespeichert und vorrätig gehalten werden, werde aus Vorsicht sein Verhalten anpassen. Dies beeinträchtige nicht nur die individuelle Handlungsfreiheit sondern auch das Gemeinwohl, da ein freiheitlich demokratisches Gemeinwesen der selbstbestimmten Mitwirkung seiner Bürger bedürfe. „Mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung wären eine Gesellschaftsordnung und eine diese ermöglichende Rechtsordnung nicht vereinbar, in der Bürger nicht mehr wissen können, wer was wann und bei welcher Gelegenheit über sie weiß.“
Leider ist das Bundesverfassungsgericht oft dazu verdammt, nur im Nachhinein festzustellen, wenn ein Gesetz falsch ist – ein solches zu verhindern überlässt es leider den Leuten, die das offenbar nicht können und nicht wollen.