Schwule in Tirana: CROSS KICK
Homosexualität hat in Tirana keinen Platz. Die Hauptstadt Albaniens befindet sich wie der Rest des Landes noch auf der Suche nach einer neuen Identität. Nach dem Zusammenbruch des sozialistischen Regimes zu Beginn der 90er Jahre haben neue Werte es schwer sich durchzusetzen. Einziger Halt sind der Familienverband und traditionelle Gesetze, wie der Kanun. Offen schwul zu leben ist daher unmöglich.
In Parks und privaten Häusern, hinter Gesten und konspirativen Zeichen leben albanische Homosexuelle in einer parallelen Welt. Es gibt wenige, die sich offen zeigen und die meisten von ihnen sind Außenseiter und gehören gleich mehreren ungleichen Minderheiten an: Transsexuelle, Zigeuner, Menschen der Strasse. Die grosse Mehrheit der Schwulen aber bleibt für die Gesellschaft nicht sichtbar.
Um über die schwierige Situation der albanischen Schwulen zu informieren, habe ich in Tirana nach ihnen gesucht.
Die Ergebnisse dieser Recherche habe ich in Zitaten und künstlerischen Bildern festgehalten.
„Homosexuelle Albaner wollen nicht aus ihrer Deckung kommen. Sie kommen ja nicht einmal aus ihren Häuser, um die Treppen zu putzen. Als die Demokratie kam, haben wir nicht nur unser altes Regime hinter uns gelassen, sondern auch unsere soziale Verantwortung. Von Gemeinschaft ist in Albanien nichts zu spüren. Wieso sollte es hier also eine schwule Gemeinschaft geben?“
(ein Geschäftsmann aus Tirana)
„Den ersten Schwulen, den ich übers Internet kennenlernte, führte ich hierher an diesen besonderen Ort, an dem wir ungestört sein konnte. Hier saßen und redeten wir stundenlang – bis wir uns am Ende küssten. Er sagte, dass er nur mit einer Frau zusammenleben könne und was er eigentlich suche sei rein sexuell. Ich wollte eine richtige Beziehung. So blieben wir nur Freunde.“
(ein Student)
2005 lief in Top Channel, dem größten TV-Sender Albaniens, eine Diskussion über Homosexualität. Unterstützt wurde die Sendung von internationalen Organisationen – doch die Programmgestaltung verblieb beim Sender – sehr zum Nachteil der ursprünglichen Absicht, über das Thema aufzuklären und es positiv darzustellen.
Es kam zu einer hitzigen Debatte, an deren Ende jemand öffentlich dazu aufrief, alle Homosexuellen auf dem Skanderbeg Platz in Tirana zu verbrennen.
Schwule Cafes und Clubs gibt es nicht in Tirana. Gefördert von internationalen Hilfsprojekten und oft auf eigene Faust werden Treffen und Partys in Wohnhäusern veranstaltet. Die Orte werden nur privat weiterempfohlen, von Mund zu Mund und per Mobiltelefon. Die Gefahr, dass gewaltbereite Schwulenhasser die Orte belauern ist gross, zumal die Polizei diese Veranstaltungen nicht schützt und selbst oft aktiv gegen Homosexuelle vorgeht.
Die Veranstaltungsorte wechseln schnell: In einer dieser privaten Wohnungen war ein solcher – heute lebt hier eine Familie.
Parks sind in Albanien die einzige Möglichkeit im öffentlichen Raum Schwule kennenzulernen. Die Gefahr an Schläger oder schwulenfeindliche Sicherheitsleute zu geraten ist sehr gross. Vor einigen Jahren wurde hier ein Holländer von der Polizei kontrolliert. Weil er keinen Ausweis bei sich trug und Kondome in seiner Tasche hatte, wurde er festgenommen, misshandelt und erst nach Tagen wieder freigelassen.
Solche Vorgänge sind leider üblich. Die Polizei macht weder Halt vor Ausländern noch vor den eigenen Landsleuten. Das albanische Gesetz, das weder Homosexualität noch das Mitführen von Kondomen als Straftatbestand sieht, hat hier keine Macht.
Die einzigen „Schwulen“, die in Tirana sichtbar werden, sind eigentlich Angehörige einer ganz anderen Minderheit: Transsexuelle Zigeuner.
Man trifft sie oft an verschiedenen Orten in der Stadt und im Gegenteil zu den „echten“ Schwulen sind sie durchaus sichtbar. Als auffällige Aussenseiter bestimmen sie Vorurteile und das negative Bild, das viele in Albanien von Homosexuelle haben.
Von einer Akzeptanz der „Gypsies“ kann nicht gesprochen werden, da sie am öffentlichen Leben nicht teilnehmen und nur innerhalb der eigenen Minderheit, mit Prostituierten oder Drogenabhängigen verkehren.
Die albanische Schwulenkultur ist noch in der Entstehung begriffen, und es wird noch eine Weile dauern, bis sie zu einer Reife gelangt ist, in der sie sich geschlossen nach aussen hin zeigen kann. Die Jugendlichen, ermuntert durch die Möglichkeiten des Internets, tragen einen wichtigen Teil dazu bei – aber auch sie kämpfen noch weitestgehend alleine und ohne Lobby für ihren Platz in der Gesellschaft.