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Meine Kanäle: Comedy & Cartoons / Reise-Abenteuer / Vlog-Schrott
20. September 2008 / 20:24
OZ (SA): September 21, 2008 / 03:54

AUSTRALIEN-REISE

Der Ghan – Durch’s Herz mit dem romantischen Kamel

Ist das die Romantik? Das kleine Turbinengeräusch unter meinem Sitz, bzw. schräg daneben, in der Wand?
Suuurrrrr!!!
Oder das Klappern der Klapptischchen, die sich aufgeregt an den Sitzarmaturen reiben?
Brabel-brabel-brabel-bra…
Hinter mir ertönt ein Zirren – vielleicht ist es ja das?
Zzzzzsssszzrrrrzzsss….

Der Mann mit dem Anzug und dem wirren Haarschnitt quetscht sich durch den schmalen Gang und links und rechts verteilt er handgeschriebene Zettelchen: „Do not sit here!“. Als er mich sieht, auf meinem gekaperten Platz, lächelt er verschwitzt und gibt mir eines davon. „You can stay for now, but in Katherine we’ll get a group of five and you have to move to your old seat.“ Wird wohl voll und mein alter Platz hat kein Fenster.
Könnte es das sein? Das Geheimnis seines Erfolgs?

Kamele am Streckenrand des Ghan

Etwas später schnalle ich mir den schweren Rücksack um und pendle durch den Gang nach hinten. Starke Vibrationen schaukeln mich kreisförmig voran, die Hände auf rettende Sitzpolstern gestützt.
Ein älteres Pärchen hat sich verlaufen und sucht den Weg an mir vorbei. Plötzlich jagt ein kleiner Junge zwischen meinen Beinen hindurch und wirft die beiden über den Haufen. Dann eine Durchsage: „Ladies and Gentlemen, we’re now presenting the legendary story of …“, begleitet von Radgeklapper und dem prägnanten Horn.
Das muss sie sein, die Romantik, von der alle schwärmen.

Es ist Mittwoch morgens, 10:30 Uhr. Ich sitze im neuen, alte Ghan, dem legendären Zug, der Eisenbahnfans mitten durch’s rote Herz Australiens fährt. Er setzt sich langsam in Bewegung und tut das wirklich ohne Eile. Genau, wie der Indian Pacific, der zwischen Sydney und Perth verkehrt, durchquert er den ganzen Kontinent. Doch auf den ersten 30 Kilometer kommt er kaum über Schritttempo hinaus: 3000 Kilometer von Darwin bis Adelaide – er will das in drei Tagen schaffen.

Zug-Bahnhof in Northern Territory. Der Ghan steht bereit.

Auch wenn die Reiseprospekte seine Geschichte fast toterzählen, sie fesselt: Die vom ersten Zug, der nach afghanischen Kameltreibern benannt wurde und von 1929 bis 1980 zwischen Adelaide und Alice Springs unterwegs war. Buschfeuer, Überschwemmungen und Termitenbefall setzten ihm so zu, dass er oft wochenlang im Outback stecken blieb und seine Zugverbindung schließlich 1980 eingestellt wurde. 2004, zur Wiedereröffnung, war die Strecke bis Darwin erweitert worden und die Route nach Adelaide verschob sich katastrophengeschützt nach Westen.
Seither pendelt er, nostalgisch dekoriert, mit 85 Sachen durch’s Land, bewirtet seine Gäste in roter und goldener Känguruhklasse, unterhält sie mit raubauzigem Personal und organisiert Kurztrips an den beiden Zwischenstopps in Katherine und Alice Springs.

Der Gahn fuhr ursprünglich eine etwas andere Strecke. Das alte Gleis liegt immer noch.

Vor einigen Monaten, auf meiner Fahrt durch die Flinders Ranges, hatte ich die Gleise der alten und neuen Route passiert und Teile des Zugs in der Ferne vorbeiziehen sehen. Mit dem Ghan durch Australien zu fahren war schon seit Jahren einer meiner vielen Träume, doch mit bezahlbaren Preisen hatte ich bis zuletzt nicht gerechnet. Erst als ich vor einigen Tagen die Flug- und Zugpreisen miteinander verglich und sich zu meiner Überraschung kein nennenswerter Unterschied ergab, griff ich zu.
Bis Adelaide geht es mit dem Ghan und von dort weiter mit dem „Overland“ nach Melbourne, wo ich das Land mit dem Flugzeug Richtung Neuseeland verlassen werde.

Zuggäste in Katherine

Am Nachmittag halten wir in Katherine, einer Stadt, an deren „Bottle Shops“ sich die Bevölkerung mit den Touristen trifft. Die „Bevölkerung“ besteht in diesem Fall fast nur aus Aboriginals, deren häufige Alkoholabhängigkeit und anderer Substanzenmissbrauch auf dem Präsentierteller liegen. Zwar ist der Genuß von Alkohol in der Öffentlichkeit verboten, doch der herumliegende Büchsenmüll weiß es besser.
Für mich ist es der zweite Besuch in der kleinen Stadt und das meiste kenne ich bereits. So verbringe ich die Zeit mit einem Spaziergang am Fluß. Unternehmungslustigere paddeln mit Canoes um die Wette oder fahren mit dem Schiff durch den Nitmiluk, der großen Schlucht, die auch als Katherine Gorge bekannt ist.

Blick von der Brücke in Katherine. Das Wasser steht hier in der Regenzeit mehr als 10 Meter höher.

Kurz vor Einbruch der Dunkelheit nimmt der Ghan seine Fahrt wieder auf und schon wenig später ruft das Bordbistro zum Dinner. Die Auswahl in unserer Klasse ist begrenzt, das Essen aber gut und die Preise erstaunlich okay – für mich gibt es Train-Roast – Hühnchen mit Gemüse – und ein Döschen unterkühlte Cola. Da die Passagiere nur mäßig gesprächig sind, bleibe ich für mich und arbeite mit Hilfe einer der beiden scheinbar einzigen Zug-Steckdosen an meinem Computer.
Der Zug rattert schaukelnd in den Sonnenuntergang*.

* eigentlich ist der Sonnenuntergang neben dem Zug, da wir von Norden nach Süden fahren. Aber „rattert am Sonnenuntergang vorbei“ klingt so unromantisch.

Das Schild an der Seite des Ghan

Als um Elf die meisten Lichter erlöschen, beginnen die Passagiere der Großraumabteile sich auf die unbequemen Liegen zu verteilen; wer kann, dreht seinen Vordersitz um 180° und nutzt den zusätzlichen Auflageplatz für seine Beine. Manche liegen in Käferstarre und Hohlkreuz auf den wuchtigen Polstern, und wer klein genug ist, verbringt die Nacht auf dem Boden davor: Ein zerknittertes Mütterchen hat es sich neben ein paar Backpackern bequem gemacht und eine Mutter mit Kind liegen Seit an Seit im Gepäckzwischenraum. Ich klemme auf zwei Plätzen zwischen viel zu schmalen Lehnen. Durch Dehnen und Drehen optimiere ich den knappen Platz, bette meinen Rücken auf den stabilen Laptopdeckel und den Kopf gegen ein Handtuch, doch der Komfort ist begrenzt. Beine, die in den Gang ragen, werden mehrmals schmerzvoll überrannt – meistens vom selben asozialen Idioten. Als er ab Mitternacht damit beginnt das Abteil geräuschvoll zu patrouillieren, stelle ich mich auf eine harte Nacht ein.
Kurz nach Eins hält der Zug in Tennant Creek und nimmt fünf weitere Reisende an Bord. Es wird voller und hektischer. Der Patroullierende klettert nun unbesonnen über Menschenberge und drückt die Geduld der meisten Gäste bis an den Anschlag. Bei der nächsten Gelegenheit frage ich den Schaffner nach einer Möglichkeit zum Abteil-Upgrade – man hört ja so vieles von „Sonderangeboten“. Verstohlen raunt er mir zu, ihn im Liegewagen zu treffen, wo er konspirativ etwas von „Special Deal“ und „Ausnahme“ murmelt. Es hätte mich nicht gewundert, wenn er mir dort eine reichhaltige Auswahl verschiedenfarbiger Afghanen angeboten hätte. Stattdessen zeigt er mir ein kleines Luxuskabinchen, in das ich für 60 Dollar („Do you have cash?“) umziehen kann. Trotz seiner knappen Grundfläche bietet der Raum viel Platz. Das Bett ist schmal, aber edel und nur wenige Zentimeter darüber zieht mondhelle Landschaft am Fenster vorbei. Eine zweite Schlafkoje hängt leer unter der Decke und läßt sich im Bedarfsfall herunterkurbeln.

Etwas später sitze ich auf dem Laken wie in der Loge eines Privatkinos. Auf dem extra breiten Bild eine unwirkliche Buschwüste, die an meinen Verstand vorüberflitzt und der Soundtrack rumpelt verträumt dazu: Ba-damm. Ba-damm. Ba-damm.
Jetzt bin ich sicher: Das ist Eisenbahnromantik.

Ich sitze in meiner Einzelkabine auf dem Bett und schau der vom Mondlicht beleuchteten Landschaft nach.

Am nächsten Morgen muss es schnell gehen. Alice Springs erreichen wir zwar erst um Neun, aber der Schaffner braucht noch etwas Zeit, um vor der Putzkolonne mein Bett zu machen – soll ja keiner was wissen von unserem „kleinen Deal“.
Doch beim Weg zurück fällt mir auf, dass auch andere Passagiere aus dem Gemeinschaftsabteil nun in den kleinen Seitenkojen sitzen. Im Kopf überschlage ich den Gewinn des selbstlosen Herrn mit ein paar hundert Dollar und grinse in mich hinein. Nein, ich bereue keinen Cent!

Ein Baum mit leuchtenden Blüten spendet Cafégästen Schatten

Alice (das „Springs“ läßt man hier einfach weg) ist eine der australischen Städte, deren Atmosphäre noch nicht unter dem unvermeidlichen Tourismus degeneriert zu sein scheint – die Innenstadt mit ihren kleinen Restaurants und Juwelieren ist mir spontan sympathisch und schon nach zwei Minuten erhalte ich eine Privatführung durch einen der großen Opal-Läden. Der Geschäftsführer zeigt mir die schwarz, rot und weiß funkelnden Silikate und erklärt das Besondere ihrer farbigen Reflektionen. Chemisch sind sie irgendwie ähnlich wie Glas, doch durch besondere Umstände erleuchten sie im Sonnenlicht in den buntesten Farben: In kleinen und großen Flöckchen, flächig oder durch Äderchen durchzogen schmal. Er erklärt den Aufbau billiger und teurer Steine und warum selbst Fossilien wie Muscheln und manchmal sogar ganze Skelette opalisieren. Mehr als 96% aller Opale weltweit kommen aus Australien, und die meisten davon aus Coober Peedy, einer Wüstenstadt, die auch der Ghan passiert (gegen 4 Uhr nachts).

Nach der Führung bleibt mir noch etwas Zeit und so suche ich den Todd River auf, der mitten durch Alice führt. Auf dem Höhepunkt der Trockenzeit im August findet hier die Henley-on-Todd Regatta statt, deren Besonderheit es ist, eines der wenigen Bootrennen der Welt zu sein, das vollkommen ohne Wasser auskommt. Was wie ein Kuriosum klingt, ist wirklich wahr, denn da es in Alice fast nie regnet, ist auch der Todd River meistens (und bis auf alle 10 Jahre einmal) trocken und für die Kinder dort der größte Sandkasten der Welt.
Wenn er aber Wasser führt, dann richtig ;)

Das ausgetrocknete Flussbett in Alice Springs

Die Zeit vergeht rasant und ich fühle mich kaum angekommen, als die Uhr schon wieder zum Abmarsch mahnt.
Um kurz nach 12 bin ich im Zug und freue mich auf meinen zweiten Tag im Einzelabteil. Doch mein Schlafdealer ist nirgends in Sicht und nur unbekannte Gesichter stehen hinter der Bordbar. Aber nicht nur die Mannschaft scheint wie ausgewechselt, die Passagiere sind es zum Teil auch: Neu an Bord kam ein Gruppe dreijähriger Schreihälse, eine Wächtersfrau der Zeugen Jehovas (die gerne an Interessierte einen „Watch Tower“ entlieh) und zwei weitere Patrouillen-Asoziale, die sich erfreut zum Ersten hinzugesellten.
Weil sich die Großraum-Abteile wieder gefüllt haben, mache ich mir Sorgen um meinen alten Doppelsitz, doch zum Glück bleibt er mir erhalten.

Ich höre Musik während der Fahrt, und blicke dabei in die Nacht.

Die Landschaft verändert sich in den folgenden drei Stunden kaum, was daran liegt, dass wir fast nur mit Schritt-Geschwindigkeit vorankommen. Vor allem die Deutschen an Bord lästern über die australische Lahmarschigkeit, aber auch Vertretern anderer Nationen fehlt das Verständnis für die vielen langen Stopps. Der Dauerscherz, dass wir mit Kamelen sicher schneller gewesen wären, hat inzwischen den letzten Fahrgast erreicht und bringt auch ihn nicht so richtig zum Lachen. Immerhin erklärt der Zugchef bald auf: Frachtzüge aus der Gegenrichtung hatten sich verspätet und können nur hier auf dem zweigleisigen Teilabschnitt an uns vorbei. Wir warten fast eine Stunde und prahlen voreinander von unseren Reiseerlebnissen. Immerhin geht es nicht rückwärts.
Als wir endlich wieder Fahrt aufnehmen, verschwindet nach und nach der Baumbewuchs und schließlich auch das Tageslicht. Wir nähern uns dem kargsten Abschnitt, der später auf Höhe von Coober Pedy in fast vegetationsloses Nichts übergeht (von dem man aber nichts sieht, weil da ja schon Nacht ist).

Erwartungsgemäß beginnen die drei Asozialen ab Elf wieder mit ihren nervtötenden Rundgängen und reiben sich bald nicht nur an uns, sondern auch am sichtlich genervten Personal.
Als sich einer beim (streng verbotenen) Rauchen erwischen läßt, wird er noch verwarnt. Doch nachdem er den inzwischen müden Gästen (mehrmals) mitten im Schlafabteil den schottischen Fußball-Schaf-Hit „Sheep-shagging bastards“ aus dem quäkenden Handy um die Ohren haut, ist der Ofen aus. Auf halber Strecke fliegt er australisch-pragmatisch aus dem Zug. (Anhalten, zack, raus. Ehrlich!)

Wenig später taucht auch der Schaffner vom Vorabend wieder auf und ich verbringe die Nacht doch noch im Schlafabteil – dieses Mal jedoch nicht allein, sondern mit einem anderen Gast, weshalb ich auf der zweiten Etage liege und von der vorbeifliegenden Landschaft nur träumen kann. Das aber sehr gut.

Der Morgen darauf beginnt mit einem Grünschock, an den ich mich nach zwei Monaten im Norden erst einmal gewöhnen muss: Der feuchte Winter gab Südaustralien Gelegenheit für den trockenen Sommer die Wasserspeicher zu füllen. Entsprechend saftig leuchtet der grüne Bezug der Flinders Ranges im hellen Morgenschein und junge Getreidefelder wogen im rauschenden Wind des Spencer Gulfs. Für eine kurze Zeit teilen wir die Strecke mit dem Indian Pacific, der (wie wir, im Schritttempo) an uns vorbeifährt. Nach und nach ändert sich der Ausblick von Farmland zu kleinen Dörfern, über mittelgroße Städte bis hin zu den ersten Ausläufern der Adelaide Hills, welche die Millionenstadt zwischen sich und die Küste klemmen. Alles, was ich vor Monaten schon einmal gesehen habe, wandert noch einmal an mir vorbei, nur rückwärts.

Jetzt, so kurz vor Ende der Reise, verblüfft mich wie schnell die Zeit vergangen ist. Noch vor drei Tagen wusste ich nicht einmal, dass ich überhaupt mit dem Ghan fahren würde, und jetzt war ich schon fast am Ende meiner langen Reise.

Als sich kurz nach 13 Uhr die Türen öffnen und der kühle Frühlingswind an den ausströmenden Passagieren vorbeidrängt, fällt mein Blick noch einmal auf die Reihen roter Sessel mit ihren quietschenden Tischchen und Lehnen, und auf die Stelle, an der das Mütterchen und all die anderen am Boden schliefen.
Australien scheint einen seltsamen Sinn für Romantik zu pflegen. Aber übergesprungen ist er schon ein bisschen.
Dann folge ich den Anderen ins Grüne. Adelaide, g’day!

Ein letzter Blick zurück auf den Zug, in dem ich nahezu 3 Tage verbracht habe.

 
 


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